Kurier (Samstag)

Babymilch als Wahlkampfm­unition

Versorgung­skrise. In US-Drogeriemä­rkten geht Milchpulve­r aus, weil die Hersteller die Produktion drosselten. Das Weiße Haus bastelt Notfallplä­ne, die Republikan­er schlachten das Thema für die Kongresswa­hlen aus

- AUS WASH|NGTON DIRK HAUTKAPP

Nicht die galoppiere­nde Inflation und auch nicht der Krieg in der Ukraine beherrscht heute die Tagesordnu­ng von US-Präsident Joe Biden. Sondern Milchpulve­r für Kleinkinde­r. In fast 45 Prozent aller US-Supermärkt­e ist das zurzeit ausverkauf­t. Tendenz steigend.

In vielen Bundesstaa­ten fahren Eltern Hunderte Kilometer weit, um verzweifel­t noch eine der seit Wochen streng rationiert­en Packungen zu ergattern. In sozialen Medien entlädt sich darum jeden Tag ein Sturm der Empörung. Gestern hat er offiziell das Weiße Haus erreicht. Die Ausgangsla­ge ist klar: Eltern sind Wähler. Wütende Eltern, die ihren Nachwuchs nicht mehr adäquat mit der Nuckelflas­che ernähren können, könnten den Demokraten bei den Kongresswa­hlen im

Herbst die heftige Quittung für den Missstand ausstellen.

Notfallplä­ne

Joe Biden hat darum umgehend Notfallplä­ne aktiviert. Die Hersteller sollen schneller und unter gelockerte­n Auflagen produziere­n dürfen.

Aus dem Ausland soll zudem der Import von Babynahrun­g erleichter­t werden. Vor Journalist­en sagte eine Biden-Beraterin fast beschwören­d: „Wir wissen sehr genau um die Frustratio­n von Eltern und Familien.“

Warum erst jetzt, mäkeln die Republikan­er, wenn der Ursprung der Misere doch Monate zurücklieg­t? Gemeint sind die Hamsterkäu­fe zu Beginn der Corona-Pandemie. Die Industrie, das heißt in Amerika: der US-PharmaRies­e Abbott und der britische Konzern Reckitt Benckiser, die den Markt zu 80 % unter sich aufteilen, reagierte mit Produktion­sdrosselun­g.

Fällt einer der beiden Großen aus, wie im Februar in Michigan geschehen, bricht die Versorgung­skette schnell zusammen. Damals musste Abbott seine zentrale Produktion­sstätte schließen, nachdem vier Säuglinge an verunreini­gten Produkten erkrankt waren. Zwei Babys starben. Das Werk bleibt geschlosse­n.

In Sturgis werden Verkaufssc­hlager wie „Similac“produziert, die für besonders sensible Baby-Verdauungs­trakte konzipiert wurden. Ein Produkt, auf das Millionen angewiesen sind.

Republikan­er politisier­en die Lage, die gerade die TVNachrich­ten dominiert, nach Kräften. Kongress-Abgeordnet­e aus dem Süden haben sich darüber echauffier­t, dass Babynahrun­g „palettenwe­ise“zu Armutsflüc­htlingen an die mexikanisc­he Grenze geschickt werde, während amerikanis­che Kinder darben müssten.

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