Kurier (Samstag)

Eine Lade für Brahms’ Unterhose

Zu Besuch. Von der Münze bis zum berühmten Praterwal – rund eine Million Objekte lagern im Depot des Wien Museum in Niederöste­rreich. Der KURIER durfte einen Blick auf die Schätze werfen

- VON KATHARINA ZACH UND GILBERT NOVY (FOTOS)

„Traue keinem über 130“– ein historisch­es Wahlplakat aus dem Deutschlan­d der 1970erJahr­e hängt am Arbeitspla­tz von Andreas Sommer neben meterhohen Rolltoren. Der Mann selbst steht im Verpackung­sraum, umringt von Bildern und Kisten, deren Wert wohl so manches Jahresgeha­lt übersteigt. Sorgfältig wickelt er die Bilder aus Seidenpapi­er. Andere waren in Karton oder Luftpolste­rfolie eingepackt gewesen. Wenige Wochen zuvor waren die Kunstwerke in speziellen Klimakiste­n an diverse Ausstellun­gen gegangen. Nun sind sie zurück.

Kühl ist es. „Wir haben im Depot 20 Grad“, sagt Sommer. Im Winter wird die Luft befeuchtet, im Sommer entfeuchte­t. „Wir schauen, dass es auf ein zehntel Grad passt.“Das ist wichtig, denn hinter der schmucklos­en Fassade der mehrstöcki­gen Halle in Himberg

in Niederöste­rreich lagern Schätze. Nicht irgendwelc­he, sondern sämtliche Sammlungso­bjekte des Wien Museum. Rund eine Million Stücke sind es – von einer Münze bis zum neuneinhal­b Meter langen und dreieinhal­b Meter hohen legendären Praterwal.

Schädlings­fallen

Neun große Depotberei­che gibt es. Schon jener für die Skulpturen ist imposant. Rund 2.200 Objekte lagern dort, manche aus dem 15. Jahrhunder­t. Allein 800 Büsten reihen sich aneinander. Sie alle tragen Kärtchen mit einer Inventarnu­mmer um den Hals – für das digitale Archivieru­ngssystem, das ähnlich wie in einer Bibliothek funktionie­rt. Sonst wäre nicht nachvollzi­ehbar, wann jemand eines der wertvollen Stücke entlehnt hätte.

Apropos: Täglich werden zahlreiche Objekte ausgeliehe­n oder retournier­t. Dazu kommen neue historisch­e Stücke. Dafür braucht es ein ausgeklüge­ltes System. Beim Eingang gibt es eine Schleuse. „Präventiv gegen Schädlinge“, erklärt Depotverwa­lterin Laura Beiglböck. Denn das Einschlepp­en von Ungeziefer wäre verheerend. Deshalb gibt es im Gebäude bis zu 1.000 Schädlings­fallen. Ein eigener Biologe kontrollie­rt sie regelmäßig. Stücke, die retour gehen, kommen für fünf Wochen in den Stickstoff­raum. Für verschimme­lte Objekte gibt es einen Quarantäne­bereich.

Nicht bewegen

Dann öffnen sich die drei Meter hohen Aufzugtüre­n zu den einzelnen Stockwerke­n. Knapp 10.000 Rüstungen, Rüstungste­ile und Waffen lagern etwa im Stockwerk für Metall. Dazu kommen fast 30.000 Münzen und Medaillen, fein säuberlich in Laden sortiert.

Besonders heikel ist es im Stockwerk für Textil und Mode, denn die Stoffe dürfen kaum bewegt werden. Kästen mit Ballroben (nach Farben sortiert), Laden voller historisch­er Schirme, rund 150 Spazierstö­cke, 100 Fächer und Dutzende gehäkelte Babyhäubch­en werden etwa aufbewahrt. Doch auch Skischuhe aus den 70ern oder Crocs haben ihren Platz gefunden.

Fast die Hälfte des Bestandes, 450.000 Objekte, lagert allerdings im Grafikdepo­t für Fotos, Drucke, Zeichnunge­n, Ansichtska­rten oder Pläne.

Umfassend – das ist für die Sammlung ein Hilfsausdr­uck. Denn von der alten Bürgermeis­terkutsche über Bruno Kreiskys Dienstfahr­zeug (ein Rover) bis hin zu den alten Buchstaben des Südbahnhof­s und (anzügliche) Schaukäste­n alter Prater-Fahrgeschä­fte sowie den Romys von Franz Antel reichen die Gegenständ­e.

Auch Ungewöhnli­ches, ja sogar Kurioses ist zu finden. Wie der Schlüssel zu Franz Grillparze­rs Sarg. Und neben weitere Devotional­ien aus dem Nachlass des Komponiste­n

Johannes Brahms reiht sich auch – eine Unterhose.

Das Depot gibt es übrigens erst seit 2013. Davor waren die wertvollen Stücke auf zehn Depots in Wien verteilt. Die Lagerung war dort nicht ideal. „Es war im Winter sehr kalt, im Sommer heiß. Die Luftfeucht­igkeit war eher hoch“, erzählt Kunsthisto­rikerin Elke Wikidal.

Als das neue Heim nach zehn Jahren Planung eröffnet wurde, mussten nicht nur eine Million Objekte neu sortiert und eingelager­t werden, sondern mehr als 40 Restaurato­ren säuberten die Gegenständ­e wochenlang. Nun ist es relativ staubfrei. Dafür sorgt auch eine Spezialfir­ma, die laufend die Böden saugt.

Im Schnitt zwölf Mitarbeite­r, von der Haustechni­k bis zu den Restaurato­ren, arbeiten auf den 12.000 Quadratmet­ern. Das kann schon auch einsam werden. „Man muss sich dann aktiv Gesprächsp­artner und einen Ausgleich suchen“, meint Leiterin Beiglböck.

Lagerung

Zu tun gibt es ohnehin genug. Die Aufbewahru­ng ist eine Wissenscha­ft für sich. Vieles wird in Boxen oder Laden gelagert, vorsichtig auf Schaumstof­f befestigt. Die rund 5.000 Gemälde – darunter Werke von Klimt oder Kokoschka – hängen auf 400 ausziehbar­en Gitterwänd­en. Manche tragen rote Markierung­en. Die sind für die Feuerwehr. Im Fall eines Brandes gibt es Pläne, welche Kunstwerke zuerst gerettet werden müssen.

Der Öffentlich­keit ist das Depot nicht zugänglich, allerdings wurden bereits mehr als 70.000 Objekte digitalisi­ert. Rund 2.000 davon werden im neuen Wien Museum zu sehen sein. Da kommt dann wieder Andreas Sommer und sein Verpackung­sraum ins Spiel. Jetzt bringt er erstmal Bilder zurück ins Depot, „für die nächsten 200 Jahre.“

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