Kurier (Samstag)

Die Grenzen aufgezeigt

- VON ANDREAS SCHWARZ andreas.schwarz@kurier.at

Im Moment wird wieder Geschichte umgeschrie­ben. Nur nicht so, wie Wladimir Putin sich das vorgestell­t hat: Finnland und Schweden, die ihre Sicherheit seit ewig in Neutralitä­t und Bündnisfre­iheit fanden, flüchten angesichts der aktuellen Ereignisse in die Arme der NATO. Die Stimmung in den skandinavi­schen Staaten ist mit dem Tag des russischen Überfalls auf die Ukraine gekippt. Sie haben sich auch durch die wüsten Drohungen des russischen Präsidente­n nicht davon abbringen lassen, im Gegenteil. Demnächst dürfte der Beitritt ins westliche Militärbün­dnis besiegelt sein.

Der Kreml-Herrscher tobt, darf angenommen werden. Und schon wird die Frage gestellt: Ist der finnische und schwedisch­e Weg auch klug? Reizt er den russischen Bären in einer hoch-sensiblen Situation für den Weltfriede­n nicht nur noch mehr?

Gegenfrage: Wer will Finnland – mit seiner Erfahrung in Sachen russischer Überfall

– und Schweden das Sicherheit­sbedürfnis absprechen? So wie ein Vierteljah­rhundert davor Polen, Tschechien, Ungarn, später den baltischen Staaten, Bulgarien, Rumänien?

Das ist ja eine der vielen großen Lügen des Wladimir Putin, mit denen er seinen so erbärmlich durchsicht­igen (und bisher gescheiter­ten) Vernichtun­gsfeldzug gegen die Ukraine rechtferti­gt: Der Gott-sei-bei-uns NATO habe sich, entgegen anderer Abmachunge­n, bis an die Grenzen Russlands ausgeweite­t und bedrohe auch noch die Reste des früher stolzen Zarenreich­es, ja wolle es überfallen.

Das ist aus zwei Gründen Unfug: Putin agiert nicht aus Angst, sondern aus Hass gegen den Westen, begründet in der Verbitteru­ng über den Zerfall der Sowjetunio­n (und dann geht es den früheren OstblockSt­aaten heute auch noch besser!). Und: Es waren diese Staaten, die – wie man sieht: aus gutem Grund – den Schutz der NATO suchten. Die bedroht niemanden. Sie ist ein Verteidigu­ngsbündnis, das, anders als die russische Militärmac­ht, niemanden überfallen und heim ins Reich holen will. Und komme keiner mit dem Beispiel Belgrad: Die NATO intervenie­rte im Kosovo-Krieg, um das Massenmord­en der Milošević-Schergen zu beenden, nicht um ein Land zu erobern. Jetzt ist Wladimir Putin auch mit seinem zweiten Ziel neben der Auslöschun­g der Ukraine gescheiter­t: dem, die NATO zurückzudr­ängen. Die Länge der gemeinsame­n Grenze wird sich durch den Beitritt Finnlands verdoppeln.

Russlands Präsident wird das seiner Bedrohungs­erzählung hinzufügen. Die Welt darf sich durch sein Säbelrasse­ln jetzt nicht schrecken lassen. Ja, der Stalin-Erbe hat Atomwaffen. Aber der Westen hat sie auch, und die Balance der Abschrecku­ng wird so funktionie­ren, wie sie das auch im Kalten Krieg getan hat. Finnland und Schweden haben sich jedenfalls nicht einschücht­ern lassen, sondern gehen nur ihren logischen Weg. Der Wladimir Putin seine Grenzen aufzeigt.

Finnland, Schweden trotzen Putins Zorn und suchen Schutz in der NATO. An deren Erweiterun­g ist Russland schuld, niemand sonst

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