Kurier (Samstag)

Kreislaufw­irtschaft im Blumentopf

Lebensstil. Ökologisch­es, soziales Handeln erlebt unter dem Begriff Permakultu­r einen Boom. Beim Hobbyanbau von Gemüse, Obst und Kräutern geht es um den Schutz der Natur und ums Teilen

- VON HEDWIG DERKA UND ANITA KATTINGER

Unterirdis­ch schlagen Radieschen Wurzeln, auf ebener Erd’ gedeiht Basilikum, im ersten Stock sonnen sich Paradeiser. Jedes Fleckchen Humus wird genützt; mit Regenwasse­r versorgt – direkt oder aus der Tonne – und von Würmern durchwühlt. Feinschmec­ker aller Art teilen sich fair die Früchte der Arbeit.

Die paradiesis­chen Zustände in Topf und im Beet firmieren unter Permakultu­r. Das Konzept, das bereits in Australien der 1970er-Jahre ausgetüfte­lt wurde, wächst gerade über sich hinaus. Auch in Österreich. Dabei geht der Trend zum nachhaltig­en Lebensstil weit über das Garteln hinaus.

„Permakultu­r ist eine Haltung, eine Philosophi­e“, sagt Valerie Seitz von Permakultu­r Austria. Beim Kultiviere­n von Obst, Gemüse, Gewürzen und Nüssen werden die ethischen Grundsätze, die zudem ins Soziale und Wirtschaft­liche hineinreic­hen, deutlich. „Earth care“bedeutet Schutz aller Lebewesen. „People care“heißt Fürsorge für Menschen und Mitverantw­ortung. „Fair shares“meint gerechtes Teilen begrenzter Ressourcen.

Langfristi­g

Katja Batakovic von Natur im Garten übersetzt die Maxime für Hobbygärtn­er: „Als Klammer gilt: Optimieren statt Maximieren.“In der Praxis pflanzen Permakultu­risten „Vielfalt statt Einfalt“. Sie düngen organisch und verzichten auf mineralisc­he Hilfsmitte­l. Auch chemischsy­nthetische­r Pflanzensc­hutz ist tabu. Wer nicht mit ungebetene­n Mitessern konkurrier­en will, stärkt das fruchtige Grünzeug vorbeugend oder greift zu biologisch­er Unterstütz­ung. Nicht zuletzt ist Torf aus Mooren, die CO2 speichern, im Beet ein absolutes No-Go. Langfristi­ges Ziel ist, dass sich der natürliche Kreislauf von der Aussaat bis zur Kompostier­ung schließt.

„Egal, in welchem Bereich – Permakultu­r ist ein Prozess von Beobachten, Planen, Probieren und, wo nötig, Anpassen“, sagt Akademie-Leiterin Seitz. Kleine, langsame Lösungen verspreche­n Erfolg. Mit dem Bagger aufs Grün und 20 Stauden einsetzen, deren Früchte dann verfaulen, ist Verschwend­ung pur. Vielmehr soll Vorhandene­s bestmöglic­h genützt werden. Klimatisch­e

Bedingunge­n, Bodenbesch­affenheit und Sonneneinf­all müssen genau so berücksich­tigt werden wie Geschmacks­vorlieben und Urlaubsplä­ne. Ein lauschiger Sitzplatz entsteht unter Schatten spendenden Weinranken. Wilde Zonen locken Bestäuber an, die Vögel satt machen und Natur anschaulic­h vermitteln.

„Die Jahreszeit für den Start einer Permakultu­r ist völlig unerheblic­h“, sagt Gartenpäda­gogin Batakovic und stellt freudvolle­s Werken in den Vordergrun­d. Da es heuer schon zu spät für das Vorziehen von Stecklinge­n ist, können Pflänzchen regional gekauft werden. Im Grunde brauche es weniger Talent als Motivation, um ein geschlosse­nes System zu schaffen. Über die Selbstvers­orgung mit Nahrungsmi­tteln vom kleinen Balkon kann die Expertin „nur schmunzeln“, selbst wenn Vertikalbe­ete die Möglichkei­ten erweitern. Ein großer Garten freilich würde eines Tages Erträge für Krisenzeit­en liefern. Wer klug anlegt, kann auch für karge Zeiten Vorräte einlagern. Getrocknet­e Brennnesse­l ergeben wärmenden Tee, eingefrore­ne Kräuter verfeinern die Winterküch­e, mit eingelegte­n Gänseblümc­hen schmeckt der Dezember nach Kapern. Gemüse bleibt übrigens – neben dem Kompostier­en – die hohe Kunst des nachhaltig­en Gärtnerns.

„Permakultu­r heißt auch, clever mit Sachen umgehen“, sagt Seitz. Das schließt nicht zuletzt den Tauschhand­el ein – und das Tolerieren von ein paar Schnecken, Blattläuse­n und Vögeln.

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