Fahr ma, euer Gnaden? Der ewige Nachruf auf die Fiaker
Vor 100 Jahren hätte beinahe schon einmal die letzte Stunde der Wiener Mietkutschen geschlagen. Dann erfanden sich die Fiaker neu. Jetzt will ihnen Minister Rauch ans Leder
Im April 1927 schien ihr Schicksal besiegelt: Unter dem Titel „Die letzten Vierzehn“fragte das Neue Wiener Tagblatt „Wer fährt noch im Fiaker?“und sah das Ende kommen: „Um die Standplätze wurde es einsam. An der Wende 1925/’26 geschah das Unvermeidliche. Ein schwarzer Silvester ward den Fiakersleuten beschieden, und der Neujahrsmorgen sah ein arg zusammengeschmolzenes Häuflein Kutschbockgewaltiger. Fast hundert der letzten Lizenzen wurden damals zurückgelegt. Es ging nicht mehr weiter.“
Hatte sich das Fiakergewerbe um 1900 auf dem Höhepunkt befunden, gerieten die Lohnfuhrwerke durch das Aufkommen neuer Verkehrmittel – elektrische Straßenbahnen, Fahrräder und Automobile – zunehmend unter Druck, weiß der Historiker Sándor Békési. „Ab 1924 hatten Nachrufe auf den Fiaker Hochkonjunktur“, sagt Békési. Selbst die Arbeiterzeitung nahm Abschied: „Der Wiener Fiaker ist ein Kind der Wienerstadt und der ‚guten alten Zeit‘ gewesen.“
Ähnliches könnte man durchaus auch heute in den Medien lesen, nachdem der grüne Tierschutzminister diese Woche laut über ein Verbot der Pferdekutschen nachgedacht hat. Aus der Zeit gefallen, lautete die Botschaft. Dabei standen die ersten Fiaker und ihre Vorläufer vor gut 300 Jahren für Innovation. Die Wagen hatten Nummern und unterstanden amtlicher Kontrolle. 1846 hörte man hauptsächlich Lobendes über die Fuhrwerker: „Die Wiener Fiaker sind die kühnsten und geschicktesten Kutscher und voll schlagfertigen Humors, echten Mutterwitzes und origineller Ideen.“
„Wiener Typen“eben, denen dasWienMuseumvoreinigenJahren eine Ausstellung widmete: Wäschermädel, Schusterbub, Werkelmann, Lumpensammler, Gigerl oder Pülcher – allesamt verschwunden. Nur der grantige Kellner, die Marktfrau und eben der Fiaker haben überlebt. „Er wurde zum Stellvertreter für viele andere Berufe, die im Zuge der Industrialisierung verschwunden sind“, sagt Békési. In einer Stadt, die damals mit dem Bau der Ringstraße grundlegend umgestaltet wurde, lebten die ikonografischen Typen
Längst zählen einige Kutscher zum angesehenen
Bürgertum und avancieren aufgrund ihrer Fahrkünste und ihres „Schmähs“zu lokaler Prominenz: Etwa
Josef Bratfisch (Bild, re.), der ehemalige Leibfiaker von Kronprinz Rudolf, oder Karl Mayerhofer, begnadeter WienerliedSänger. Die meisten leben im heutigen 3. Bezirk im sogenannten „Fiakerdörfl“, heute als Fiakerplatz bekannt
GESCHICHTE ZUM ANSCHAUEN Jeden Samstag im KURIER als eine Art
Alt-Wien weiter.
Mittlerweile hat der Anachronismus auf Rädern dem Benziner mehr als 100 Jahre getrotzt. Auch, weil man sich neu erfunden hat. Békési: „Nachdem ihre Funktion als normales Verkehrsmittel nach dem Ersten Weltkrieg praktisch komplett wegfiel, haben die Fiaker in den 1950ern ihre neue Rolle als Stadtführer für Touristen gefunden.“Und wer weiß: Vielleicht gibt es ja ein drittes Leben für die Fiaker, wenn der Städtetourismus zurückkehrt.
Erinnerung an
Nach dem Zweiten Weltkrieg
werden
Kutschen
in größeren Städten fast gänzlich von Autos und Straßenbahnen
verdrängt.
Die Fahrgäste bevorzugten die billigere
„Bim“