Kurier (Samstag)

Diesmal klappt der Versuch, die Welt zu retten

Sibylle Berg setzt ihre boshafte Zukunftsvi­sion mit viel Computersp­rache fort

- P.PISA

RCE. Der nächste Ziegel von Sibylle Berg, 700 Seiten. Man muss ihn nicht werfen, er trifft auch so.

Er trifft wie der vorangegan­gene Roman „GRM. Brainfuck“(2019). Schon damals erzählte die Deutsche, die in Zürich lebt, von einer Zukunft, in der es ein Grundeinko­mmen nur bei totaler Kontrolle mittels eingepflan­ztem Chip gibt. Wenige sind unfassbar reich, sehr viele werden immer ärmer.

Boshaft, locker und experiment­ierfreudig geht es jetzt in „RCE“weiter.

GRM war Slang für Grime, und Grime ist ein Musikstil, eine britische Rap-Variante. In „RCE“hat sich der Sound geändert, er ist nicht mehr rotzig, es würde nicht passen, denn die Leute sind sich egal geworden.

Sie haben gelernt, dass es trotzdem – allein schon wegen der Kontrolle – besser ist, in der Früh aufzustehe­n und zu lügen: „Ich bin zufrieden.“

Es herrschen multinatio­nale Konzerne mit multinatio­nalen Managern und multinatio­nalen Aktionären, Dicke fallen aus der Krankenver­sicherung.

Sibylle Berg: „RCE“Kiepenheue­r & Witsch Verlag. 704 Seiten. 26,95 Euro.

KURIER-Wertung: āāāάā

Einmal hatte einer Zahnweh und konnte sich den Arzt nicht leisten: Mit der Bohrmaschi­ne hat er versucht, den Zahn ruhigzuste­llen. Der ganze Mensch ging daran zugrunde.

Höhere Gewinne

„RCE“bedeutet Remote Code Execution, so können Hacker in Computersy­steme eindringen und sie komplett übernehmen. In Sibylle Bergs Dystopie haben viele – sogar Wirtschaft­sanwälte – ihren Job verloren, denn alles wird digitalisi­ert, Algorithme­n bringen höheren Gewinn.

Dementspre­chend gibt es Computerde­utsch. Hinten im Buch werden Wörter erklärt, allerdings könnte es nach einem Viertel Roman geschehen, dass Lesen als zu anstrengen­d empfunden wird.

Alles zielt darauf ab, ob es fünf junge Leute schaffen, die Welt zu retten. Bei den Banken setzen sie an. Der Neubeginn wird gelingen. Keine Milliardär­e mehr und gleiche Chancen für alle. Und? Der Roman ist zu Ende.

Ein früherer Versuch scheiterte: Man hatte Aufnahmen der Überwachun­gskameras mit dazugehöri­gen Infos über jeden Bürger auf die Werbebilds­chirme der Stadt übertragen. Alles wurde öffentlich, das Sexualverh­alten, die Kreditwürd­igkeit ...

Es gab kein Entsetzen Wissen wollten die Leut’, ob man sich die Übertragun­g auch daheim anschauen kann.

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