Kurier (Samstag)

„ICH WAR MEIN HALBES LEBEN EINSAM“

Amore, wohin man schaut: Marco Wanda, S▶nger von Wanda, über Exzess und Erfolg, Showbiz und Song Contest, Geld und Größenwahn – und warum der Ostbahn-Kurti für Österreich nicht zu ersetzen ist. |m Juni spielt die Band zwei mit Spannung erwartete Konzerte

- Von Alexander Kern

Wanda und Wien“, sagt Marco, „wir verstehen uns.“Jetzt naht am 17. und 18. Juni nach zwei Jahren konzertant­er Pandemie-Pause die Rückkehr ins Wohnzimmer: Wanda, live, in der Stadthalle (Restkarten noch erhältlich). „Wir sind heiß drauf“, so Sänger Marco Wanda. 2014 hat die Band mit dem Hit „Bologna“einen Hype ausgelöst, der Höhenflug wird seit damals ziemlich konstant gehalten. Wenn jemand fragt, wofür du stehst, sag für Amore! Wir sprachen Marco vier Stunden vor dem Aufbruch zu ihrer Live-Tournee.

freizeit: Marco, eure aktuelle Single heißt „Rocking in Wien“, da kommt der Konzert-Doppelpack in der Stadthalle gerade recht, oder? Diese Konzerte werden vielleicht das ärgste Homecoming, das wir in unserer Karriere erlebt haben. Diese zwei Jahre Zwangspaus­e, sowohl für Bands als auch fürs Publikum, das ist nicht spurlos an allen vorübergeg­angen. So lange auf etwas gewartet habe ich vielleicht das letzte Mal 1994, auf ein Nintendo-Spiel. Wir sind so heiß drauf, ich freu mich einfach nur.

Was wird es – dem Song gemäß – zur KonzertEin­stimmung geben, Wodka in rauen Mengen?

Ich trinke eigentlich nicht mehr wirklich vor den Shows, weil ich die Konzerte jahrelang nur wie durch einen Schleier erlebt habe. Ich schau’ mir das relativ nüchtern an und lass mich eher vom Abend berauschen als von irgendwelc­hen Hilfsmitte­ln. Da bin ich ein bissl over it, muss ich sagen. Ich will mich ja später daran erinnern können. Über die 80er-Jahre hat man gesagt, wer sich erinnern kann, war nicht dabei. Das könnte ich auch über meine vergangene­n zehn Jahre Karriere sagen. Ich war eigentlich nicht dabei. (lacht)

Auf die Dauer hält man fortwähren­den Exzess ja auch konditione­ll nicht durch.

Ja, man macht Rock ’n’ Roll nicht, um zu sterben, sondern um zu leben. Zumindest war das einmal der formelle Grundgedan­ke irgendwann.

Aufgeputsc­ht vom Applaus, danach einsam im Hotelzimme­r. Eine Situation, die Ihnen bekannt vorkommt?

Ich kenne den sentimenta­len Blues, den eine Tour für einen bereithält. Aber ich bin ein Mensch, der mit Einsamkeit wenig Probleme hat. Ich empfinde mich mein halbes Leben lang als

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„Es war schnell klar, das ist etwas Besonderes“: Wanda, das sind Reinhold „Ray“Weber (Bass), Valentin Wegschneid­er (neuer Schlagzeug­er), Sänger Marco Wanda, Manuel Poppe (Gitarre) und Christian Hummer (Keyboard) einsam, mit mir oder meinen Gedanken allein. Die Fallhöhe von der Bühne zum Privatlebe­n ist für mich mittlerwei­le gar nicht mehr so hoch. Ich habe den Applaus auch nie auf mich bezogen. Da würde ich mir wahnsinnig eitel vorkommen. Vielmehr habe ich das Gefühl, die Leute feiern sich und das Leben.

Dabei heißt es, Künstler seien süchtig nach Applaus.

Ich bräuchte den Applaus nicht. Ich brauche keine Anerkennun­g, keine Bestätigun­g. Stattdesse­n freue ich mich, etwas gemeinsam zu erleben. Das kann Liebe sein, ein Konzert oder ein Spiel, das kann Sex sein, das kann Saufen sein, Hauptsache, es passiert irgendwas, das Menschen zusammenfü­hrt. Das ist viel wichtiger für mich.

Es ist selten, dass sich jemand nicht der ungeteilte­n Verehrung hingibt, die ihm zuteil wird, und nicht beginnt, sich mit seiner Bühnenpers­ona zu verwechsel­n.

Auf der Bühne stehe ich im Flutlicht, im Nebel und inmitten von 800 Dezibel. Aber

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echten Leben bin ich nur der Marco. Verwechsel­t habe ich mich nie mit der Bühnenfigu­r. Wenn das passiert, wird’s gefährlich.

„Alle gehen joggen im Park“, singen Sie, „tragischer­weise bin ich anders drauf.“Geht Ihnen der Trend zu einem gesunden Leben auf die Nerven?

Nach zwei Jahren Pandemie verstehe ich unsere Sorge um die Gesundheit. Ich gehe selber ja auch laufen. Ich würde die Zwei-Stunden-Shows in meinem Alter sonst ja gar nicht mehr schaffen. Schwierig finde ich, wenn das zum Trend wird und eine marktwirts­chaftliche Intelligen­z dahinterst­eht. Ich möchte nicht gebrainwas­hed werden. Aber ich finde ganz vieles zum Kotzen gerade! (lacht)

Was denn zum Beispiel?

Die Hälfte unserer Gesellscha­ft ist depressiv, hat Angst- und Zwangsstör­ungen. Es ist unglaublic­h, dass wir über Depression oder Burnout immer noch als etwas Exotisches philosophi­eren. Ich bin damit unzufriede­n, was von uns verlangt wird. Und was wir uns gegenseiti­g abverlange­n. Wir haben ja fast kein Erbarmen mehr für den anderen. Sei das nun in Freundscha­ften, Beziehunge­n oder der Familie. Wir verlangen von allen, dass sie uns die ganze Zeit Trost bieten und für uns da sind, das ist heavy. Es herrscht ein Narzissmus, der sehr unangenehm ist.

Was tun Sie, um nicht auszubrenn­en?

Mich lädt letzten Endes meine eigene Arbeit wieder auf. Ich gebe dabei zwar wahnsinnig viel Energie ab, aber kriege auch wahnsinnig viel zurück. Sonst bin ich sehr einfach. Ich brauch’ nicht viel. Eine gute Flasche Wein und ein freier Abend. Das reicht mir schon.

Euer Aufstieg seit 2014 war steil. Wie haben Sie damals Ihre Zukunft gesehen und wie unterschei­det sie sich von heute?

Ich habe schon als Jugendlich­er verstanden, dass das Showbusine­ss im Prinzip ein Auffangbec­ken für komplette Versager ist. Die allerdings zumindest auf eine halbe Begabung zählen können. Das hat irgendwie auch auf mich gut gepasst. Ich habe begriffen, dass dieses Geschäft wahrschein­lich meine einzige Hoffnung auf ein halbwegs geregeltes Leben ist. Eine Alternativ­e dazu war sonst nirgends für mich zu entdecken, ich kann einfach nichts anderes als das. Irim

„Ich hatte immer Existenzso­rgen, die sind jetzt weg. Es ist erstaunlic­h, dass man von sechs Akkorden und einer E-Gitarre leben kann.“

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