ZURÜCK IN DER NORMALITÄT
Der Mensch ist simpel gestrickt. Kann er etwas nicht haben, will er es partout. Die Pandemie hat das bewiesen. Da ersehnte man akkurat jene Normalität, die einem zuvor das Leben zäh und farblos erscheinen ließ. Nun wo fast alles wieder möglich ist, weiß man bisweilen nicht so recht, ob man sich darüber freuen soll. Über Weinmessen etwa, wo Hunderte Menschen wie Kampfameisen durch stickige, jeglicher Sinnlichkeit beraubter Messehallen wuseln. Wien ist freilich anders – da drängen die Massen durch die imperialen Gemächer der Hofburg. Die Mission ist die gleiche: Aus einer Flut an Weinen die besten herausfiltern. Dafür trinkt man sie nicht etwa, vielmehr spült man damit geräuschvoll den Gaumen, um sie hernach wieder in Plastiknäpfe zu spucken. Ein zugegeben unappetitlicher Anblick, der jedoch den nicht unerheblichen Vorteil besitzt, sich im Sekundentakt Weine einzuverleiben, ohne an Alkoholvergiftung dahinzuscheiden. Das mag Laien ein mitleidiges Kopfschütteln entlocken, unter Weinfreunden gibt man sich mit dem Prozedere als Profi zu erkennen. Auch Winzer können einem leidtun: Tagelang stehen sie hinter der Budel, tragen die immer gleichen Erläuterungen stets enthusiastisch vor und beantworten Fragen, die oft nur gestellt wurden, um die eigene Expertise zur Schau zu stellen. Zu guter Letzt müssen sie sich dann von dem einen oder anderen noch erklären lassen, wie sie ihren Wein besser machen könnten. In solchen Momenten ersehnt man sich wohl den nächsten Lockdown.
Christina Fieber kommt aus Salzburg und arbeitet als freie Weinjournalistin in Wien. freizeit.at |