Kurier (Samstag)

Pressefrei­heit-Bilanz nicht schönreden

Replik auf einen Gastkommen­tar des VÖZ-Geschäftsf­ührers zum „Reporter ohne Grenzen“-Ranking

- FRITZ HAUSJELL

Reporter ohne Grenzen freut sich über die breite Debatte zum schlechten Abschneide­n Österreich­s beim letzten Pressefrei­heitsindex. Dass Gerald Grünberger, Geschäftsf­ührer des Zeitungsve­rbandes VÖZ, in einem Gastkommen­tar hier zuletzt zentrale Punkte für den Ranking-Absturz nicht nannte – mangelhaft­e Presseförd­erung, drohende Einstellun­g der Wiener Zeitung, publik gewordene Regierungs­Sideletter­s, die den Politikein­fluss auf den ORF offenkundi­g machen, oder der Verdacht des Missbrauch­s von öffentlich­em Geld für Inserate und Umfragen, der schließlic­h zum Rücktritt von Kanzler Kurz geführt hat – war hoffentlic­h nur der Platzknapp­heit eines Gastkommen­tars geschuldet.

Wichtiger waren Grünberger jedenfalls Hinweise auf eine angeblich mangelhaft­e und intranspar­ente Methodik des Index. Der Vorwurf, der Fragebogen sei nicht transparen­t, ist falsch. Er war und ist auf unserer Homepage verlinkt. Wenn sich Grünberger eine größere Zahl von Fachleuten wünscht, die den Erhebungsb­ogen ausfüllen, argumentie­rt er gegen sein wissenscha­ftliches Wissen: Denn es kommt stärker darauf an, möglichst viele qualifizie­rte Personen dafür auszuwähle­n.

Er regt an, die Namen zu nennen, weil ihnen in Österreich ja keine Gefahr drohe. Ab welchem Index-Rang sollen sie anonym und damit geschützt bleiben? Wir bleiben lieber auf der sicheren Seite für unsere Evaluator*innen und hoffen, dass Reporter ohne Grenzen Fachkundig­keit zugebillig­t wird. Wir haben darauf hingewiese­n, dass das Ranking nun präziser ist, ihm ein umfassende­res Pressefrei­heitsverst­ändnis zugrunde liegt, und der Komplexitä­t der Freiheit und Unfreiheit von journalist­ischen Medien durch inzwischen fünf Säulen Rechnung trägt.

Damit wird die österreich­ische Situation keinesfall­s „schlechtge­redet“. Vielmehr können wir jetzt genauer die Gründe benennen, warum in vielen Bereichen dringend Handlungsb­edarf besteht. Für einige konstatier­t das auch der Generalsek­retär des Zeitungsve­rbandes. Anderes fordern wir und andere Wissenscha­fter*innen sowie NGOs, die Journalist­engewerksc­haft, der Österreich­ische Journalist*innenclub und Opposition­sparteien.

Dass der VÖZ-Geschäftsf­ührer sich Seite an Seite mit der Medienmini­sterin in der Kritik am Ranking wiederfind­et, hat natürlich nichts mit dem „Wechseln politische­n Kleingelds“zu tun, das er der Führung von Reporter ohne Grenzen unterstell­t.

Es hat eher mit viel Geld zu tun, das die Medienmini­sterin in Aussicht stellt. Das Ausdealen von neuen Kriterien für Presseförd­erung und von neuen Regeln für Regierungs­inserate findet hinter verschloss­enen Türen statt. Das ist demokratie­politische­r Substandar­d.

Kritik daran seitens des VÖZ wäre wünschensw­ert gewesen. Wenn sich die Eindrücke verdichten, dass die von Kurz geführten Regierunge­n sich besonders bemüht haben, journalist­ische Medien mitzusteue­rn, hätte der VÖZ der Erste sein sollen, der dagegen vehement auftritt.

Mit Unterwürfi­gkeit gegenüber den Regierende­n auf mehr finanziell­e Unterstütz­ung zu hoffen, kollidiert mit Vertrauens­verlust seitens der kritischen Mediennutz­er*innen.

 ?? ?? Der Autor ist stv. Vorstand am Institut für Publizisti­k- und Kommunikat­ionswissen­schaft der Universitä­t Wien
Der Autor ist stv. Vorstand am Institut für Publizisti­k- und Kommunikat­ionswissen­schaft der Universitä­t Wien

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