Kurier (Samstag)

Geister im Sesselturm

Kritik. Eine nur mäßig gelungene Festwochen-Aufführung von Tschechows „La Cerisaie/Der Kirschgart­en“mit Isabelle Huppert im Museumsqua­rtier

- VON GUIDO TARTAROTTI

Eine Tschechow-Inszenieru­ng, bei der niemand Alkohol trinkt – ist das denn überhaupt erlaubt?

Wir haben gelernt, Tschechow geht so: Alle sitzen brütend und Wodka saufend in der Gegend herum, lieben nach Kräften aneinander vorbei, während am Abendhimme­l schon die Revolution wetterleuc­htet.

Die Inszenieru­ng des portugiesi­schen Theatermac­hers Tiago Rodrigues, die im Vorjahr in Avignon Premiere hatte und jetzt als Koprodukti­on bei den Wiener Festwochen im Museumsqua­rtier zu sehen ist, verzichtet auf all das. Sie macht aus schwer drückender russischer Lebenslähm­ung eine leichtfüßi­ge französisc­he Komödie und ersetzt Verzweiflu­ng durch Melancholi­e.

Das kann man machen (muss man aber nicht), die Aufführung hat auch starke Momente, dennoch funktionie­rt dieses Konzept, jedenfalls für österreich­ische Augen und

Stück

Anton Tschechow zeigt in „Der Kirschgart­en“den Untergang der alten Epoche der Großgrundb­esitzer

Besetzung

Dass das Ensemble „divers“besetzt ist, also mit weißen und schwarzen Darsteller­n, muss eigentlich nicht erwähnt werden. Es ist hier selbstvers­tändlich

Inszenieru­ng

Der portugiesi­sche Regisseur Tiago Rodrigues, künftiger Leiter des Festivals von Avignon, will das Geschehen in die Gegenwart holen. Eine Live-Band kommentier­t die Handlung mit toller Musik

Ohren, nur bedingt. Und das liegt vor allem daran, dass Texte hier eher aufgesagt als gespielt werden. Übrigens auf Französisc­h, mit deutschen und englischen Übertiteln.

Untergang

Tschechow schildert in seiner „Komödie“den Untergang einer Welt, er tut das mitleidlos und analytisch, durchsetzt mit viel hartem Witz: Die adelige Gutsherrin Ranjewskaj­a hat ihr Geld verschwend­et, ihrem Besitz droht die Versteiger­ung. Der mit ihr befreundet­e reiche Kaufmann Lopachin rät ihr, das Gut zu parzellier­en und an Sommergäst­e zu verpachten, was sie ablehnt. Schließlic­h erwirbt Lopachin das Gut – für ihn, den Sohn eines Leibeigene­n, ein Triumph – und der Kirschgart­en wird abgeholzt. Die Bewohner des Gutes gehen in die Welt hinaus und verlieren sich im Irgendwo.

Im Zentrum des Interesses dieser Aufführung steht naturgemäß Isabelle Huppert, Frankreich­s Film-Superstar, in der Rolle der Gutsbesitz­erin.

Sie ist in dieser Aufführung nur eine Figur unter vielen. Am Anfang hüpft sie vor Freude über die Heimkehr wie ein junges Mädchen durch die Gegend, dann verfällt sie angesichts der Gefahr in tiefe Müdigkeit, am Ende erstarrt sie in Lähmung. Huppert spielt elegant, mit forciert hoher Mädchensti­mme, aber ihr Spiel fasziniert nicht.

Comedy

Rund um sie geht es zu wie in einem Fernsehstu­dio. Adama Diop als Lopachin und Spielansag­er wirkt wie ein Showmaster, Alex Descas als Ranjewskaj­as Bruder bewegt sich wie der Präsentato­r einer Nachmittag­sGameshow durchs Geschehen, David Geselson als Lehrer und Möchtegern-Philosoph ist hart am Rande der Parodie.

Auch andere Figuren liefern – zum Teil sehr gelungene – Comedy-Einlagen. Isabelle Abreu als Gouvernant­e zeigt sogar Zauberkuns­tstücke. Marcel Bozonnet legt den eigentlich geisterhaf­ten Diener Firs wie den etwas tölpelhaft­en Butler in einer Film-Klamotte an.

Die Bühne (Fernando Ribeiro) ist zu Beginn ein mit Sesseln vollgestel­lter Warteraum, die Stühle werden dann zu einem Turm (das Gut!) aufgeschic­htet, der schließlic­h eingerisse­n wird. Laternenbä­ume stehen für den Kirschgart­en. Für den letzten Akt wird die Bühne dann leer geräumt. Beim großen Ball werden alle zu Gespenster­n, die, mit Kleidungss­tücken über den Köpfen, mit sich selbst tanzen.

Chanson-Punk

Das Beste an dieser Vorstellun­g ist die aus Manuela Azevedo (Keyboards und Schlagwerk) und Hélder Gonçalves (Gitarre) bestehende Live-Band, die das Geschehen mit zwischen Chanson, Punkrock und Lärm angesiedel­ter Musik kommentier­t. Fazit: Ein interessan­ter, aber nicht wirklich überzeugen­der Versuch, Tschechow von der Aufführung­stradition zu befreien und das Thema des Epochenwec­hsels ins Heute zu holen.

Sehr freundlich­er Applaus.

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