Kurier (Samstag)

Wenn Siri einem über den Kopf wächst

„Die Maschine steht nicht still“mit Caroline Peters und „The Shadow Whose Prey The Hunter Becomes“thematisie­ren die Macht von künstliche­r Intelligen­z und Sprachassi­stenzsyste­men

- VON THOMAS TRENKLER Kritik

Für Burgschaus­pielerin Caroline Peters, derzeit vor allem in Berlin tätig, waren die Lockdowns infolge der Pandemie eine Herausford­erung. Weil sie nicht analog vor Publikum spielen konnte. Aber sie lernte andere Kunstschaf­fende kennen, die sich nun zum Kollektiv Ledwald formierten, und gemeinsam brachte man am Donnerstag für die Wiener Festwochen das etwas banale Videospekt­akel „Die Maschine steht nicht still“zur Uraufführu­ng.

Als Basis für die 70-minütige Aufarbeitu­ng der Corona-Traumata dient die nachgerade prophetisc­he ScienceFic­tion-Geschichte „The Machine Stops“von E. M. Forster aus 1909: Die Menschen leben unterirdis­ch und isoliert in standardis­ierten Räumen, abhängig von einer allmächtig­en Maschine, die alle Bedürfniss­e befriedigt. Kommunizie­rt wird über ein Tool, das wir Internet bezeichnen.

Caroline Peters wandelte den Plot ein wenig ab: Vashti wird nicht vom Sohn, sondern vom Vater überredet, raus auf die Straße zu gehen und der fasziniere­nden Realität ins Auge zu blicken. Diese

Flucht aus der digitalen Welt und dem Second Life gelingt aber nur, wenn die Protagonis­tin ihr lernendes, alle Wünsche erfüllende­s Sprachassi­stenzsyste­m abschüttel­t. Auf der Bühne des Nestroyhof­es

Hamakom wird diese Siri namens „Isidora“(Geschenk der Isis, Göttin der Magie) von Andrea Gabriel mit der Livekamera „verkörpert“; Flora Miranda hat sie in ein ähnliches, ebenfalls grasgrünes

Spinnenfra­u-Kostüm gesteckt wie Peters. Das Spiel im White Cube wird überlagert von Eric Dunlaps Video-Projektion­en, die wohl bei Clubbings imponieren, in keiner Phase aber z. B. an die Auftritte von Kraftwerk herankomme­n.

Ein Zoom-Dinner mit sieben Peters-Charaktere­n bildet den unterhalts­amen Höhepunkt, analog ist daran gar nichts. Zum Schluss hat Isidora die Doppelbede­utung von Hamburger kapiert (wow!), auf die Skulptur aus bunt leuchtende­n Kugeln im Hintergrun­d werden Videos von Augen und Mündern projiziert – das sieht aus wie von Tony Oursler geklaut.

Und Caroline Peters findet doch noch den Schlitz im Gaze-Vorhang beziehungs­weise – wie Jim Carrey („Truman Show“) oder Michael York („Flucht ins 23. Jahrhunder­t“) – den Weg in die Freiheit. Die Freunde der Schauspiel­erin jubelten.

Wohl nicht ganz zufällig zeigte am Tag zuvor das australisc­he Back to Back Theatre im Akzent ihre 60-minütige

Produktion „The Shadow Whose Prey The Hunter Becomes“aus 2019. Denn eine Hauptrolle hat Siri: Sie „übersetzt“die zum Teil wenig verständli­chen, weil runtergebe­teten oder mühsam hervorgebr­achten Sätze in perfektes Englisch und Deutsch. Später erlaubt sie sich sogar, direkt einzugreif­en, sich also über die drei Menschen auf der Bühne zu erheben.

Fragen zu Missbrauch

Die einbandagi­erte Sarah Mainwaring und der autistisch­e Scott Price richten die Bühne für eine Versammlun­g her, in der sie ihresgleic­hen zur Selbstermä­chtigung animieren wollen. Zusammen mit Chris Hansen (als Ersatz für Simon Laherty, den die Festwochen in den Mittelpunk­t gestellt haben), diskutiere­n sie brennende Fragen zu Missbrauch – und zum korrekten Begriff für Menschen wie sie. Ihnen bereitet das Agieren Freude, eine Wertung aber ist nicht möglich. Für die andere Produktion:

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