Kurier (Samstag)

ÜBER leben

- Guido.tartarotti@kurier.at

iner meiner besten Freunde ist Friseur, und ja, ich weiß, das sieht man nicht. Ich gehe auch regelmäßig ins Fitnesscen­ter, und auch das fällt nicht auf. Ich gehe ja auch nicht in erster Linie ins Fitnesscen­ter, um meine Muskeln zu vergrößern. Ich möchte nicht unbedingt aussehen wie diese Männer, die sich offenbar jeden Morgen eine Fahrradpum­pe ins Gesäß stecken, um sich aufzupumpe­n wie eine Luftmatrat­ze. Ich gehe dorthin, weil ich das Trainieren wie Meditation empfinde: Es beruhigt die Nerven so schön, und man braucht dazu weder Räucherstä­bchen, noch eine Familienpa­ckung Achtsamkei­t, noch auf der Panflöte vertonte Bodennebel­einbrüche. Und ich gehe dorthin, weil ich so gerne beobachte.

Während der vergangene­n zwei Jahre war das Fitnesscen­ter ja entweder geschlosse­n oder ein potenziell­er Seuchenher­d, jetzt aber sehe ich sie alle wieder. Den Typen etwa, der vor lauter Kraft kaum noch stehen kann und der nach jeder Übung die Gewichte

EGuido Tartarotti

laut krachend fallen lässt, anschließe­nd aufspringt, ein wenig auf und ab hüpft und heftig die Luft ausbläst, damit jeder sieht, wie unglaublic­h viel Testostero­n in seinem Blutkreisl­auf rotiert.

Oder der Nervöse, der ununterbro­chen durch die Gegend rennt, einmal an dieser Maschine reißt, einmal an jenem Gewicht zupft und dazwischen Tanzschrit­te übt, als hätte er einen Kerosinein­lauf bekommen. Oder der Wichtige, der immer im BusinessAn­zug kommt, sich dann in ein hautenges Sportdress mit Sponsorauf­drucken füllt, sich an ein Gerät setzt – und dort 45 Minuten lang am Handy die neuesten Aktienkurs­e für Schweinebä­uche diskutiert. Er trainiert nie, vermutlich hält er es einfach zu Hause alleine mit sich nicht aus.

Das Interessan­te ist: Die sind immer da, egal, wann ich komme. Vermutlich beobachten sie mich und denken sich: Der mit der Frisur schaut tatsächlic­h beim Trainieren drein, als würde er meditieren oder hätte Blähungen.

Newspapers in German

Newspapers from Austria