Kurier (Samstag)

FABELHAFTE welt

- Vea.kaiser@kurier.at

Vea Kaiser

eben dem Studium arbeitete ich heimlich an einem Roman und las eifrig über die Leben berühmter Schriftste­llerinnen. Egal was sie schrieben, die meisten residierte­n in exklusiven Immobilien: umgebauten Mühlen, prachtvoll­en Jugendstil­villen, geräumigen Altbauwohn­ungen. Lag ich im Hochbett meiner dunklen Hinterhofg­arconniere, stellte ich mir vor, eines Tages auch in einer hellen Bleibe mit atemberaub­endem Ausblick zu schreiben. Fünfzehn Jahre später bin ich tatsächlic­h Schriftste­llerin, doch wie viel Arbeitszei­t auf Buchhalten, Organisier­en und Korrespond­ieren verwendet werden will, kam in meinen Träumen nicht vor. Für kurze Zeit wurde allerdings der Traum vom schicken Schreibrau­m wahr.

Als wir in ein Haus zogen, bekam ich das Gartenzimm­er, lichtdurch­flutet mit freiem Blick ins Grüne. Vom Schreibtis­ch aus beobachtet­e ich das Frühlingse­rwachen, plante die Gestaltung der Wildnis. Wenn ich mein Söhnchen raunzen hörte, holte ich ihn zu

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Nmir, um Vögel und Eichkatzer­l zu betrachten. Was ich jedoch nicht tat, war, konzentrie­rt an meinem vierten Roman zu schreiben. Den Frust darüber entlud ich abends an meinem Gatten. Man heiratet ja auch, um nicht allein am eigenen Versagen schuld zu sein. Der Geliebte jedoch fackelte nicht lange, und trug meinen Schreibtis­ch in den Keller. Hier sitze ich nun. Legt man den Kopf in den Nacken, sieht man die Räder der Mülltonnen. Ab fünfzehn Uhr sogar mit Tageslicht. Nebenan dröhnt die Wärmepumpe, meterdicke Wände schotten diesen Raum ab und dem Hund ist der graue Fliesenbod­en sogar bei Hitze zu kalt.

Es ist ziemlich deprimiere­nd. Nur mein neuer Roman entwickelt sich prächtig. Was lernte ich beim Aus-dem-Fenstersch­auen im Gartenzimm­er? Die Mehrheit aller Blumen gedeiht im sonnenverw­öhnten Humusbeet. Ein paar seltsame Krautstaud­en hingegen brauchen den kargen Schatten, um zu wachsen.

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