Konfliktreich. Im Schneckentempo zum 30er
30 Jahre nach Graz will mit Innsbruck eine weitere Landeshauptstadt die flächendeckende Tempobremse ziehen. Bis der 30er die Regel und der 50er die Ausnahme ist, wird es noch heiß hergehen
Für das rote Urgestein war es ein Coup im Ausklang seiner Politkarriere. Im März zimmerte der Innsbrucker SPÖ-Klubobmann Helmut Buchacher im Gemeinderat eine Mehrheit für ein Bekenntnis zur flächendeckenden Einführung von Tempo 30 auf den Stadtstraßen. Neben den Grünen von Bürgermeister Georg Willi, die mit einem ähnlichen Antrag abgeblitzt waren, und einigen Mandataren von Kleinfraktionen war auch die bürgerliche Liste Für Innsbruck mit an Bord.
Grundlage für die Zustimmung: Von der 30er-Regelung sollen Durchzugsstraßen ausgenommen werden, die von einer Arbeitsgruppe des Gemeinderats bis Jahresende festzulegen sind. Nach der ersten Sitzung zeigte sich Stadtchef Willi am Freitag zuversichtlich, dass 30 km/h in Innsbruck zur Regelgeschwindigkeit wird: „Eine Mehrheit des Gemeinderats hat diesen Weg beschritten.“
Grabenkämpfe
Der zeigt sich insbesondere bei Verkehrsthemen immer wieder höchst zerrüttet, nicht nur wenn es um neue Fußgängeroder Begegnungszonen geht. So gut wie vor jeder Einführung eines neuen lokalen Tempolimits gingen in der Vergangenheit die Emotionen hoch.
„Ich verstehe nicht, wo das Problem liegt. Jedes Dorf in Tirol hat abseits der Landesstraße einen 30er oder 40er“, sagt Buchacher.
Innsbruck ist mit solchen hitzigen Verkehrsdebatten freilich kein Sonderfall. Für Parteien bieten sie die Bühne für ideologische Profilierung. Und wenn es um die
Straße geht, gibt es auch kaum einen Bürger, der nicht seine Meinung zu – je nach Perspektive – rücksichtslosen Autofahrern, narrischen Radfahrern, nicht nach links oder rechts schauenden Fußgängern, Kriechern oder Rasern hat. Wenn Österreich angeblich acht Millionen Fußballteamchefs hat, dann mindestens so viele Verkehrsexperten.
Dabei ist es eigentlich erstaunlich, dass der 30er in Österreichs Städten nicht längst Standard ist. Im Herbst werden es 30 Jahre, dass Graz das ganze Stadtgebiet – ausgenommen einiger Vorrangstraßen – zu einer riesigen 30er-Zone machte (siehe Artikel unten).
Schwarzer Pionier
Durchgesetzt hat das 1992 ein schwarzer Vize-Bürgermeister namens Erich Edegger. In Innsbruck gehört die ÖVP zu den vehementesten Gegnern der Tempobremse, die erst vergangene Woche sogar auf Landesebene für einen schwarz-grünen Koalitionskrach gesorgt hat: Die Verkehrsabteilung von Ingrid Felipe, grüne Stellvertreterin von VP-Landeshauptmann Günther Platter, hatte in einer Stellungnahme zur Novelle der Straßenverkehrsordnung angeregt, die Regelgeschwindigkeiten in Österreich zu senken: auf Autobahnen auf 100 km/h, auf Freilandstraßen auf 80 km/h und im Ortsgebiet eben auf 30 km/h.
„Dafür sind wir nicht zu haben“, stellte ein erzürnter Platter klar. „Mit uns gibt es keine ideologiegetriebenen TempoReduktionen“, ließ die LandesVP verlautbaren. In dieser Tonart, die auch von der FPÖ in Tirol und in Innsbruck geteilt wird, dürfte es beim Tauziehen um Ausnahmen vom 30er in der Landeshauptstadt in den kommenden Monaten weitergehen.
Buchacher ist klar, dass sein Vorhaben noch längst nicht in trockenen Tüchern ist: „Aber wenn sich alle zusammenreißen, kriegen wird das hin. Bürgermeister Willi versucht indes, mit einer Analyse, die das Land für die Stadt erstellt hat, ein bisschen Dampf
aus dem Kessel zu bringen. Auf Grundlage der NaviDaten von Autofahrern zeigt sich, dass besonders im Kernbereich der Innenstadt in vielen Straßenzügen mit 50er-Limit schon jetzt nur mit 30 bis 40 km/h gefahren wird.
Ampelhüpfen
Das ist wohl dem ständigen Stop-and-go von einer Ampel zur nächsten sowie der Enge mancher Straße geschuldet. Dass der 30er auf diesen Strecken kommen soll, darüber herrscht laut Willi Einigkeit in der Arbeitsgruppe. Zudem zeigt eine Karte, dass das Netz an 30er-Straßen bereits groß ist.
Bleiben also noch die Verbindungen, auf denen tatsächlich mit 50 km/h gefahren wird. Die werden der Knackpunkt.