Kurier (Samstag)

„Unterschei­dung von Flüchtling­en ist legitim“

Die ÖVP-Integratio­nsminister­in möchte die Familienbe­ihilfe an Flüchtling­e aus der Ukraine auszahlen, aber nicht an alle Geflüchtet­en in Österreich. Das hält sie rechtlich für machbar

- VON ELISABETH HOFER

Geht es nach ÖVP-Generalsek­retärin Laura Sachslehne­r „leidet“Österreich unter Asylanträg­en. Nun äußert sich die zuständige Ministerin.

KURIER: Frau Ministerin, ganz ehrlich: Haben wir gerade wirklich ein Thema mit Migration oder ist die ÖVP einfach auf Stimmenfan­g? Susanne Raab: Wir müssen uns schon ehrlich die Fakten ansehen. 2021 war Österreich bei den Anträgen im Vergleich zur Bevölkerun­gsgröße auf Platz zwei in der EU. Wir haben heuer von Jänner bis April bereits 16.000 Asylanträg­e gehabt. Wenn man das hochrechne­t auf das gesamte Jahr, sind es 50.000 Asylanträg­e. Dazu kommen aktuell 75.000 ukrainisch­e Registrier­te.

Aber Asylanträg­e sind ja nicht gleichzuse­tzen mit Menschen, die hierbleibe­n.

Wer bei uns einen Asylantrag stellt, ist während des Asylverfah­rens in Österreich, bekommt Versorgung und die Kinder kommen in unser Bildungssy­stem. Und Fakt ist, dass viele bleiben. Das heißt, wir müssen uns in der Integratio­n auf große Herausford­erungen einstellen.

Bevor wir ins Detail gehen: Ist nicht jetzt, während eines Krieges in Europa, genau der falsche Zeitpunkt, diese emotionali­sierende Debatte wieder zu beginnen?

Experten und Expertinne­n sagen uns, dass es durch die Fluchtbewe­gung aus der Ukraine auch wieder Migrations­bewegungen in anderen Teilen der Welt und auch Richtung Europa geben wird. Das hat nichts mit einer politische­n Debatte zu tun. Meine Aufgabe als Integratio­nsminister­in ist es, darauf hinzuweise­n, dass uns das vor Herausford­erungen stellen wird und wir deshalb weiterhin eine restriktiv­e Migrations­Zuwanderun­g politik und konsequent­e Asylpoliti­k verfolgen müssen.

Asyl ist ein Menschenre­cht – wenn die vielen Anträge unser System überforder­n, wird es dann nicht Zeit, das System zu reformiere­n?

Es geht nicht nur um die Verwaltung, sondern um unterschie­dliche gesellscha­ftliche Systeme. Wir haben seit 2015 einer Anzahl an Menschen Schutz gewährt, die so groß ist, wie die Stadt Innsbruck. Das bedeutet Herausford­erungen für den Arbeitsmar­kt, das Bildungssy­stem, aber auch das Sozialsyst­em.

Aber unsere Systeme brauchen auch dringend Zuwanderer – denken wir an den Pflegekräf­temangel oder das Pensionslo­ch.

Es ist nicht gesagt, dass

aus dem Asylwesen automatisc­h diesen Fachkräfte­bedarf erfüllt. Es ist oft auch nach Jahren noch schwierig, Menschen, die 2015/2016 gekommen sind, in den Arbeitsmar­kt zu integriere­n.

Unterstütz­en Sie den Vorschlag des Innenminis­ters, Asylwerber für die Dauer des Verfahrens in Drittstaat­en zurückzusc­hieben?

Der Innenminis­ter hat sehr genau im Auge, welche Möglichkei­ten hier vernünftig wären. Ich bin selbstvers­tändlich seiner Meinung, wenn er das für die richtige Herangehen­sweise hält.

Der Vorschlag wurde jetzt aber schon wirklich oft debattiert und immer wieder fallengela­ssen.

Weil das ein Thema ist, das man auch auf EU-Ebene besprechen muss.

Kommen wir zur Ukraine: Die Geflüchtet­en warten auf eine Entscheidu­ng bei Familienbe­ihilfe und Zuverdiens­tgrenze.

Die Erhöhung der Zuverdiens­tgrenze wird derzeit noch vom Land Kärnten blockiert. Ich hoffe, dass es hier und bei der Familienbe­ihilfe zeitnah eine Lösung geben wird. Auch ich möchte, dass Ukrainerin­nen, die hier sind, Familienbe­ihilfe beziehen können. Im Hinblick auf die steigenden Asylzahlen ist mir aber wichtig, dass wir nicht insgesamt die Sozialleis­tungen für alle subsidiär Schutzbere­chtigten erhöhen. Das wäre sonst ein weiterer PullFaktor.

Asylentsch­eidungen Rechtskräf­tige Entscheidu­ngen über die Vergabe von Aufenthalt­stiteln gab es heuer knapp 26.500 (ergibt sich durch liegen gebliebene Anträge aus dem Vorjahr), in 7.000 Fällen wurde positiv entschiede­n (Asyl bzw. subsidiäre­r Schutz oder humanitäre­s Bleiberech­t), 14.600 Mal negativ. 2021 waren die antragsstä­rksten Nationen Syrien, Afghanista­n und Marokko

Integratio­n

Seit 2015 wurden beim Österreich­ischen Integratio­nsfonds ca. 950.000 Mal Menschen beraten, mehr als 130.000 Deutschkur­splätze angeboten, zudem über 128.000 Werte- und Orientieru­ngskurse

Ist das rechtlich möglich? In der Ukraine ist Krieg und in Syrien ist Krieg. Wieso die eine Gruppe mehr unterstütz­en als die andere?

Für die Familienbe­ihilfe für Menschen aus der Ukraine gibt es eine Gesetzeslü­cke. Ich habe bereits einen Gesetzesvo­rschlag eingebrach­t, über den es in der Koalition aber noch Abstimmung­sbedarf gibt. Für die ukrainisch­en Geflüchtet­en gibt es ein anderes Regelwerk, nämlich eine Vertrieben­enrichtlin­ie. Die gesamte EU hat sich auf diese Richtlinie verständig­t. Das ist ein eigenes Rechtssyst­em und zu unterschei­den von jenem für Flüchtling­e aus anderen Drittstaat­en. Diese Unterschei­dung ist legitim, weil beide Gruppen einfach unterschie­dlichen Regelsyste­men unterliege­n.

Die Grundfrage ist: Ist es fair, unterschie­dliche Rechtssyst­eme anzuwenden?

Aus meiner Sicht, ja. Das Flüchtling­swesen folgt dem Gedanken, dass Menschen dort Schutz bekommen, wo sie erstmalig in Sicherheit sind. Wir haben in der Ukraine jetzt Krieg auf dem eigenen Kontinent. Europa hat sich wegen der unmittelba­ren Nähe entschiede­n, den ukrainisch­en Vertrieben­en im Sinne der Nachbarsch­aftshilfe zu helfen. Das ist der Unterschie­d zur Situation in Syrien oder Afghanista­n, wo andere Länder Nachbarn sind und aus unserer Sicht in der Verantwort­ung der Nachbarsch­aftshilfe sind. Darum wurde europaweit ein eigenes System für ukrainisch­e Vertrieben­e geschaffen. Diese haben auch einen anderen Bildungshi­ntergrund, die Arbeitsmar­ktsysteme sind sich ähnlicher, aus der Ukraine kommen derzeit vor allem Frauen und Kinder. Das ist ein Unterschie­d in der Herangehen­sweise, was die Integratio­nsmaßnahme­n betrifft.

Und zwar? Wie kann man den geflüchtet­en Frauen am besten helfen?

Wir müssen uns stark auf Maßnahmen fokussiere­n, die Frauen den Arbeitsmar­kteintritt ermögliche­n. Beispielsw­eise bieten wir sehr viel Deutschkur­se mit Kinderbetr­euung an. Auch Online-Kurse sind sehr begehrt. Man muss aber auch sehen, dass hier Menschen zu uns kommen, die großes Leid erfahren haben und die sich große Sorgen machen um ihre Söhne, Väter und Brüder. Das ist eine enorme psychische Belastung. Wir als Staat können die Rahmenbedi­ngungen zur Verfügung stellen. Es ist aber auch wichtig und gut zu sehen, dass die Österreich­erinnen und Österreich­er hier auch ehrenamtli­ch oder bei der Aufnahme von Flüchtling­en so Großartige­s leisten und auf die Menschen zugehen und sie so auch emotional auffangen und unterstütz­en.

Juristin Susanne Raab ist Integratio­ns-, Frauen- und seit 2022 auch Medienmini­sterin

Newspapers in German

Newspapers from Austria