Kurier (Samstag)

So hält man es aus, dass ein Physiker ermordet wird

Wilfried Steiner unterhält mit einer Führung im Kernforsch­ungszentru­m CERN

- P. PISA

Schöne Ungeheuer. Ein Physiker wird ermordet, vor einem Kongress in Linz. Eine Physikerin gesteht, aber sie kann die Tat nicht begangen haben: Sie besteht darauf, von hinten durch sein Herz gestochen zu haben.

Das Messer im Hals ...

Normalerwe­ise lässt man derartige Romane lieber sehr weit links liegen.

Beim Linzer Wilfried Steiner kann das aber nicht alles gewesen sein. Da kommt noch etwas. Steiner packt seine Bücher immer so voll, dass sie aufzusprin­gen drohen. Zuletzt waren das: Pinochet, Orionnebel, seltene Finken.

In „Schöne Ungeheuer“ist die Gefahr wieder groß. Denn es beginnt damit, dass Wissenscha­ftsjournal­ist steckte vorn

Georg Hollaus ein Buch über die Tunguska-Explosion 1908 in Sibirien schreiben will, und deshalb erfährt man einiges über die Katastroph­e mit Millionen entwurzelt­er Bäume; und dass es – Asteroid? Dunkle Materie? – bis heute keine Erklärung dafür gibt.

Aber Hollaus kommt nicht dazu, sich damit näher

Wilfried Steiner: „Schöne Ungeheuer“Otto Müller Verlag.

320 Seiten. 25 Euro

KURIER-Wertung: āāāāā zu beschäftig­en. Also wird man wohl einen anderen Roman brauchen ...

Er muss nämlich die verhaftete Physikerin interviewe­n. Sie arbeitete wie der tote Kollege am Kernforsch­ungszentru­m CERN in Genf. CERN! Dem Geheimnis des Universums auf der Spur. Das interessie­rt nicht nur den Journalist­en. Und Genf interessie­rt ebenfalls: Käsefondue und Frankenste­ins Monster, von Mary Shelley vor 200 Jahren an diesem Ort während eines Unwetters ausgedacht.

Wissenscha­ft und Literatur. Unterhaltu­ng und Informatio­n, ganz unaufdring­lich mischt sich eines ins andere.

Bei einem Bierchen in der

CERN-Kantine, im Gespräch über Neid und Missgunst: wie versucht wird, die Theorien des Konkurrent­en „umzubringe­n“. Jawohl, so hält man die Mordgeschi­chte bestens aus; und denkt daran, dass immer jemand versucht, Gott zu spielen.

Mary Shelley hatte, bevor sie zu schreiben anfing, mit Freunden ernsthaft diskutiert, ob man Tote, vielleicht durch Elektrizit­ät, wiederbele­ben kann. Ihr Roman ist kein Schauermär­chen, sondern eine Warnung.

Aber ein paar Kilometer von jener Villa entfernt hätte die Wissenscha­ft heute wenig dagegen, den Urknall zu wiederhole­n. Man hofft aufs Scheitern. Scheitern ist viel gesünder.

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