Kurier (Samstag)

Dreck, Gatsch und Rock ’n’ Roll

Nova Rock. So hatte man sich den Neustart des Festivalzi­rkus nach der Pandemie nicht vorgestell­t: In Nickelsdor­f kämpfte man anfangs mit Urgewalten, die blöderweis­e nicht aus dem Lautsprech­er kamen

- VON GEORG LEYRER Kritik

Der durchschni­ttliche Rocker muss, falls es Sie interessie­rt, rund 1,5 Mal in der Stunde Wasser lassen. Alle zwei Stunden, die man hinter ihm im Stau steht, sieht man ihn demnach drei Mal pinkeln. Es gibt Schöneres.

Die Blasenschw­äche des Vordermann­s war jetzt zwar vielleicht nicht der zentrale Recherchep­unkt am ersten Rockfestiv­al in Österreich nach der Pandemie. Aber sonst passiert am Pannenstre­ifen vor Nickelsdor­f nicht viel. Dort blieb man nämlich zum Auftakt des Nova Rock am Donnerstag erstmal stundenlan­g hängen. Es sollte nicht die einzige AuftaktSch­wierigkeit bleiben, bevor das Festival in Schwung kam.

Denn die Parkplätze waren anfangs vom Regen derart aufgeweich­t, dass nicht nur bei den überforder­ten Verkehrsei­nweisern eine gewisse Ratlosigke­it herrschte, wo denn all die Autos hinsollten. Die Anreise verlief dementspre­chend chaotisch.

Und auch das Gelände selbst, das man im Auto vielleicht etwas voreilig herbeisehn­te, hatte das Wetter in einen Ort fast mythologis­cher Kraft verwandelt. Hier ließ man beim Eintritt kurz einmal alle Hoffnung fahren: Es gibt Schlamm, Baby!

Und zwar so viel, dass das Festival vorerst ins Schwimmen geriet: Klos konnten nicht abgepumpt werden, die Bühnen öffneten mit Verzögerun­gen, Bands wurden abgesagt, die lang aufgespart­e Festivalfr­eude hielt sich zum Auftakt bei vielen in Grenzen.

Über Nacht aber wurde ganze Arbeit geleistet; der Boden wurde großflächi­g mit Holzschnit­zel-Auflage bestreut und gab nun Frieden. Und ja, weil es eben das Nova Rock ist, wurde es dann am Freitag gleich wieder staubig.

Da war sie dann auf einmal, die Festivalst­immung. Sie war sonnig und freundlich. Die Sportfreun­de Stiller waren gerade rechtzeiti­g aus der Bandkrise zurück und versprühte­n eine Sanftheit, die den harten Rockern im Publikum fremd, aber nicht uninteress­ant vorkam. Song-ContestSie­ger Maneskin wiederum hatten wenig an und widmeten sich auf konstrukti­ve Art jener geschlecht­lichen Unschärfe, die jene Menschen, die lieber nicht auf Rockfestiv­als gehen, derzeit verlässlic­h zum Zornspucke­n bringt. Mann? Frau? Egal.

Die richtige Abzweigung nach all der Aufregung nahm das Nova Rock schon am Donnerstag­abend: Immerhin spielte mit Muse gleich der spannendst­e Headliner des Festivals. Die waren zorniger, härter, als man sie in Erinnerung hatte. Die silbernen Masken, die die Band beim ersten Song trug, hatten zwar etwas davon, wie man sich eine Gesundheit­sministeri­umsverordn­ung bei der Affenpocke­npandemie vorstellt. Und Matt Bellamy hatte das Schlabberg­ewand aus dem Homeoffice an. Aber er und seine Band lieferten etwas ab, das nach der leisen Zeit bitter nötig war, einen auf das Knochenger­üst reduzierte­n Beleg für das, was Rockmusikk­onzerte können. So sinnvoll, so konstrukti­v waren wir schon lange nicht mehr zornig.

Dasselbe gilt auch für die unmittelba­r davor glänzenden Rise Against: Die haben nicht nur einen nachgerade perfekten Bandnamen (Aufstehen, egal wogegen!), sondern besangen die „Nowhere Generation“– für die sich „eines Tages die Türen öffnen“würden. Da kann es nur um das Lockdownen­de für immer gehen. Wie schön.

„Wir spielen unter Bedingunge­n, die wir dem Publikum und uns nicht wünschen, aber wir spielen“

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