Dreck, Gatsch und Rock ’n’ Roll
Nova Rock. So hatte man sich den Neustart des Festivalzirkus nach der Pandemie nicht vorgestellt: In Nickelsdorf kämpfte man anfangs mit Urgewalten, die blöderweise nicht aus dem Lautsprecher kamen
Der durchschnittliche Rocker muss, falls es Sie interessiert, rund 1,5 Mal in der Stunde Wasser lassen. Alle zwei Stunden, die man hinter ihm im Stau steht, sieht man ihn demnach drei Mal pinkeln. Es gibt Schöneres.
Die Blasenschwäche des Vordermanns war jetzt zwar vielleicht nicht der zentrale Recherchepunkt am ersten Rockfestival in Österreich nach der Pandemie. Aber sonst passiert am Pannenstreifen vor Nickelsdorf nicht viel. Dort blieb man nämlich zum Auftakt des Nova Rock am Donnerstag erstmal stundenlang hängen. Es sollte nicht die einzige AuftaktSchwierigkeit bleiben, bevor das Festival in Schwung kam.
Denn die Parkplätze waren anfangs vom Regen derart aufgeweicht, dass nicht nur bei den überforderten Verkehrseinweisern eine gewisse Ratlosigkeit herrschte, wo denn all die Autos hinsollten. Die Anreise verlief dementsprechend chaotisch.
Und auch das Gelände selbst, das man im Auto vielleicht etwas voreilig herbeisehnte, hatte das Wetter in einen Ort fast mythologischer Kraft verwandelt. Hier ließ man beim Eintritt kurz einmal alle Hoffnung fahren: Es gibt Schlamm, Baby!
Und zwar so viel, dass das Festival vorerst ins Schwimmen geriet: Klos konnten nicht abgepumpt werden, die Bühnen öffneten mit Verzögerungen, Bands wurden abgesagt, die lang aufgesparte Festivalfreude hielt sich zum Auftakt bei vielen in Grenzen.
Über Nacht aber wurde ganze Arbeit geleistet; der Boden wurde großflächig mit Holzschnitzel-Auflage bestreut und gab nun Frieden. Und ja, weil es eben das Nova Rock ist, wurde es dann am Freitag gleich wieder staubig.
Da war sie dann auf einmal, die Festivalstimmung. Sie war sonnig und freundlich. Die Sportfreunde Stiller waren gerade rechtzeitig aus der Bandkrise zurück und versprühten eine Sanftheit, die den harten Rockern im Publikum fremd, aber nicht uninteressant vorkam. Song-ContestSieger Maneskin wiederum hatten wenig an und widmeten sich auf konstruktive Art jener geschlechtlichen Unschärfe, die jene Menschen, die lieber nicht auf Rockfestivals gehen, derzeit verlässlich zum Zornspucken bringt. Mann? Frau? Egal.
Die richtige Abzweigung nach all der Aufregung nahm das Nova Rock schon am Donnerstagabend: Immerhin spielte mit Muse gleich der spannendste Headliner des Festivals. Die waren zorniger, härter, als man sie in Erinnerung hatte. Die silbernen Masken, die die Band beim ersten Song trug, hatten zwar etwas davon, wie man sich eine Gesundheitsministeriumsverordnung bei der Affenpockenpandemie vorstellt. Und Matt Bellamy hatte das Schlabbergewand aus dem Homeoffice an. Aber er und seine Band lieferten etwas ab, das nach der leisen Zeit bitter nötig war, einen auf das Knochengerüst reduzierten Beleg für das, was Rockmusikkonzerte können. So sinnvoll, so konstruktiv waren wir schon lange nicht mehr zornig.
Dasselbe gilt auch für die unmittelbar davor glänzenden Rise Against: Die haben nicht nur einen nachgerade perfekten Bandnamen (Aufstehen, egal wogegen!), sondern besangen die „Nowhere Generation“– für die sich „eines Tages die Türen öffnen“würden. Da kann es nur um das Lockdownende für immer gehen. Wie schön.
„Wir spielen unter Bedingungen, die wir dem Publikum und uns nicht wünschen, aber wir spielen“