ZUR PERSON Ildikó von Kürthy
Wurde 1968 in Aachen geboren, studierte Journalistik an der Henri-Nannen-Schule und schrieb 1999 mit „Mondscheintarif“ihren ersten Roman, der auch erfolgreich verfilmt wurde. Seither war praktisch jedes ihrer Bücher auf den deutschen Bestsellerlisten. Sie
und schlüpfte in ihre Gefühlswelten, schrieb aus ihrer Perspektive. Früher hatte ich große Hemmungen, ich hatte mir solche Perspektivwechsel nicht zugetraut. Aber es war für mich ein sehr spannender Prozess, in diese unterschiedlichen Leben zu schlüpfen. Und jetzt bin ich so weit, erstmals eine Fortsetzung zu einem Roman schreiben zu wollen, weil ich einige Handlungsstränge weiterverfolgen will. Da gibt’s noch einiges zu erzählen.
Wie schwierig ist es als Autorin, andere Generationen zu verstehen? Können Sie sich vorstellen, sich etwa auch den Millennials literarisch anzunähern? Oder der Generation Z?
Ich habe zumindest nicht mehr Schiss davor wie vor diesem Buch.
Ihrer Kollegin Eva Heller, die in den späten 1980ern mit „Beim nächsten Mann wird alles anders“so etwas wie die Initialzündung für eine witzige, selbstironische, aktuelle und ausgesprochen pointierte Literatur von Frauen über Frauen veröffentlichte, wurde oft vorgeworfen, sich an Klischees zu bedienen. Wie gehen Sie mit Vorwürfen wie diesen um?
Ach Klischees – was ist denn damit gemeint, was sind denn Klischees in diesem Zusammenhang wirklich? Das sind Dinge, Situationen, auch Typen, die man wiedererkennt. In denen man sich auch selbst wiedererkennt. Wenn das so passiert, dann ist es doch gelungen! Vor allem, wenn man in einer Person Schwächen sieht, die man auch selber hat.
Sie beschäftigen sich literarisch seit mehr als zwei Jahrzehnten mit der weiblichen Gefühlswelt. Was macht eine Frau zur starken Frau?
Die „starke Frau“ist für mich ein ähnlich schlimmer Begriff wie die „glückliche Ehe“. Wenn eine Frau eins ist mit ihren Erfahrungen, wenn sie einem das Gefühl geben kann, „ich kenn das, du bist nicht allein!“, dann ist sie stark. Sie muss nicht so tun „als ob“, sich antiquierter patriarchaler Vorstellungen von Stärke bedienen.
Gibt es starke Männer?
Ebenso wenig, wie es starke Frauen gibt. Wir sind mal stark, wir sind mal schwach. Der klassische, starke Mann ist heutzutage meist ein verunsicherter Mann. Verunsichert und nicht selten gefährlich. Aber ich bin Optimistin, meine Theorie ist, dass die kleinen und großen Putins dieser Welt ihre Felle davonschwimmen sehen, dass das, was wir heute in der Weltpolitik erleben, ein letztes Aufbäumen des Patriarchats ist. Männer dürfen zu ihren Schwächen stehen, genauso wie Frauen zu ihren Stärken. so viel
Ihre erste Heldin Cora Hübsch war Anfang 30, Ruth in „Morgen kann kommen“ist über 50. Welche Auswirkungen hat so ein Altersunterschied?
Meine Heldinnen altern mit mir mit. Jenseits der Lebensmitte verändern sich Frauen radikal. Äußerlich wie innerlich. Das Östrogen macht sich vom Acker, damit auch das Bedürfnis,
Ildikó von Kürthy: „Morgen kann kommen“(Wunderlich Verlag,
368 Seiten)
unbedingt gefallen zu wollen. Das Testosteron übernimmt das Regime, wir wollen was tun, etwas gestalten, sind gleichzeitig auch konfliktfreudiger und aggressiver. Frauen ab 50 schärfen sozusagen ihre Krallen. Das wird dann für viele Männer ungemütlich, wenn sie es mit Frauen zu tun haben, die auf dem Höhepunkt ihrer geistigen und kreativen Leistung sind – und dabei nicht mehr so harmoniebedürftig, wie sie es vielleicht gewohnt waren.
Eine Lösung für dieses Problem?
Andere Formen des Zusammenlebens oder des Nicht-Zusammenlebens. Sich gemeinsam verändern und entwickeln. Das geht aber eben nur, wenn wir uns von traditionellen Ideen und Normvorstellungen von der „glücklichen Ehe“lösen. Denn in dieser Ehe haben die meisten Frauen nicht die Wahl, sichtbar zu bleiben oder zu werden, sich neu zu erfinden. Sie versauern in Abhängigkeiten, aus denen sie nicht rauskommen. Ich bin als Autorin in einer glücklichen Lage – aber welche Frau in meinem Alter hat diese Möglichkeiten? Ich wünsche mir, dass viel mehr Frauen in der Lebensmitte die Möglichkeit haben, sich zu entfalten – trotz Falten.
er Tag, an dem ich auszog, um die Wahrheit zu entdecken, fing mit einer Lüge an. Nein, eh nichts Böses. Ich antwortete auf die Frage, wie es mir geht, einfach nur mit einer Extradosis aufgesetzten Frohsinns: „Super, danke!“Warum? Weil ich mich nicht erklären wollte. Vielleicht, weil ich dachte, ich könne niemandem meinen holprigen Seelenzustand zumuten. Im Grunde bin ich seit meiner Kindheit darauf konditioniert, mich dezent durchzuschwindeln. Immer dort, wo es weh tut, unangenehm ist, subkutan wird. Wie viele andere auch, die mit sich Verstecken spielen, Gefühltes zurückhalten oder nicht sagen und tun, was sie denken oder tun wollen. Stattdessen: lächeln, schwindeln, durchsurfen. 150 bis 200 Mal pro Tag lügt der Mensch im Durchschnitt. Meist merkt er es nicht einmal, weil es dabei nicht um einen systematischen Feldzug des Flunkerns geht, sondern um Alltagslügen, die vollautomatisiert ausgeplappert werden und uns dazu dienen, nicht zeigen zu müssen, was wirklich ist.
DZweieinhalb Tage radikale Ehrlichkeit
Da saß ich nun im Zug, um einen Wochenend-Workshop für „Radical Honesty“zu besuchen. Zweieinhalb Tage radikale Ehrlichkeit, geleitet von Trainer Bernhard Reingruber, der die Grundidee auf seiner Website (honestlead.at) angenehm klar formuliert: „Radical Honesty bedeutet ganz einfach, dass du jemandem anderen darüber berichtest, was du jetzt gerade wahrnehmen kannst – in deinem Körper, mit deinen Sinnen und in deinen Gedanken. Jetzt gerade in diesem Moment. Ohne Sales Pitch. Ohne Verzerrung. Klar und verletzlich.“