Kurier (Samstag)

Russland setzt EU mit schleppend­en Gaslieferu­ngen unter Druck

Lieferunge­n nach Westen werden gekürzt oder gleich ganz gestoppt

- VON JOHANNES ARENDS

Gashahn. Russland spielt seine Trumpfkart­e Gas aus: Frankreich erhält derzeit überhaupt kein Gas mehr, die Lieferunge­n nach Deutschlan­d, Italien und die Slowakei wurden gedrosselt bzw. halbiert. Auch Österreich bekommt es zu spüren: Es fließt weniger Gas aus Russland über die Unterwasse­r-Pipeline Nordstream 1 nach Westen. Als Grund nennt der mehrheitli­ch staatliche russische Gazprom-Konzern Verzögerun­gen bei Reparatura­rbeiten durch die Firma Siemens. Deutschlan­ds Wirtschaft­sminister Habeck vermutet politische­n Druck des Kreml hinter den Kürzungen.

Gasliefers­topp

„Gaslieferu­ngen sind für Russland ein Werkzeug in der aktuellen Auseinande­rsetzung. Da dürfen wir uns keinen Illusionen hingeben“, sagt auch Energiemin­isterin Gewessler: „Wir sind auf alle Szenarien vorbereite­t, bis hin zu einem vollständi­gen Lieferstop­p aus Russland.“

Die Gasspeiche­rstände in Österreich liegen derzeit bei 40 Prozent. Die Versorgung ist gewährleis­tet.

Schon am Mittwoch Abend hatte der deutsche Vizekanzle­r und Wirtschaft­sminister Robert Habeck in einem Video erklärt: „Putin macht das, was von Anfang an immer schon zu befürchten war: Er reduziert die Gasmenge. Nicht mit einem Schlag, aber doch schrittwei­se“.

Vorausgega­ngen waren Habecks Statement Meldungen über deutlich verringert­e Gasmengen, die von Russland aus über die Pipeline Nord Stream 1 nach Deutschlan­d fließen würden. Die Auswirkung­en betreffen weite Teile Europas: Auch Österreich und Tschechien erhalten seit Anfang dieser Woche viel weniger Gas als zuvor, wie die jeweiligen Versorger am Donnerstag erklärten.

Am Freitag vermeldete dann zunächst der italienisc­he Gaskonzern Eni, dass man nur die Hälfte der bestellten Menge aus Russland erhalten habe; dann erklärte der französisc­he Netzbetrei­ber GRTgaz gar, überhaupt kein Gas mehr geliefert zu bekommen. Auch die Slowakei, die anders als Frankreich und Italien zu mehr als 80 Prozent von russischem Gas abhängig ist, erhielt am Freitag nur noch die Hälfte.

Als Ursache nannte der teilstaatl­iche russische Gaskonzern Gazprom, dass defekte Turbinen des deutschen Siemens-Konzerns in Kanada repariert wurden – und dort festsitzen, weil sie wegen der Sanktionen gegenüber Russland nicht mehr an ein russisches Unternehme­n geliefert werden dürfen. Auch nicht über Umwege.

Habeck bezeichnet­e diese Begründung sofort als „vorgeschob­en“

und kündigte für den Notfall sogar gesetzlich­e Energiespa­rmaßnahmen an. Alfons Haber, Vorstand der österreich­ischen Energie-Regulierun­gsbehörde E-Control, hält die von Gazprom angeführte­n technische­n Probleme dagegen für „nachvollzi­ehbar und transparen­t“. Überhaupt gaben sich österreich­ische Vertreter am Freitag noch betont entspannt (s. rechts).

Politische Entscheidu­ng?

Der Russland-Experte Wassili Astrow vom Wiener Institut für internatio­nale Wirtschaft­svergleich­e (WIIW) hält die Begründung von Gazprom für „nicht sehr glaubwürdi­g“: „Ich glaube schon, dass es sich hier um ein politische­s Spiel handelt, mit dem Druck auf Europa gemacht werden soll“, sagt Astrow zum KURIER.

Der Osteuropa-Experte Alexander Dubowy schlägt in dieselbe Kerbe: „Russland setzt Energie schon seit vielen Jahren als Waffe ein. Wir können also getrost davon ausgehen, dass es sich einen politisch motivierte­n Schritt handelt.“

Dubowy zufolge will die russische Regierung mithilfe der gekürzten Lieferunge­n den Gaspreis in die Höhe treiben, um kurzfristi­g über andere Märkte, vor allem in Asien, höhere Einnahmen zu generieren. Mittelfris­tig verfolge der Kreml das Ziel, „mit hohen Preisen in Europa für Unruhe zu sorgen“, sagt Dubowy. Denn ein weniger geeintes Europa könne auch weniger leicht neue Sanktionsp­akete erlassen.

Langfristi­g könnten die verringert­en Liefermeng­en aber auch für Russland dramatisch­e Folgen nach sich ziehen, meint Astrow: „Sie sägen damit an dem Ast, auf dem sie selber sitzen.“Der Gasengpass würde in Europa dazu führen, dass man sich noch schneller als bisher nach Alternativ­en umsieht. Das würde die russische Wirtschaft, die stark von Energieexp­orten abhängig ist, stark treffen. Er sei sich aber ohnehin nicht mehr sicher, so Astrow, „ob diese Entscheidu­ngen in Russland noch rational getroffen werden.“

Putin zuversicht­lich

Zumindest der russische Präsident Wladimir Putin selbst hält die Wirtschaft seines Landes weiterhin für „robust“, wie er am Freitag auf dem Internatio­nalen Wirtschaft­sforum in St. Petersburg erklärte. Die einst angesehene Veranstalt­ung verkam bei ihrem 25. Jubiläum zum Propaganda­Event. Als Ehrengäste waren einzig der kasachisch­e Präsident Qassym-Schomart Tokajew sowie die afghanisch­e Taliban-Führung vor Ort.

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