Ein Versprechen ohne jede Garantie
Denken wir es einmal von der anderen Seite her: Die Ukraine ersucht um Aufnahme in die Europäische Union – und holt sich eine glasklare Absage: Zu arm, zu korrupt und vor allem in einen Krieg verwickelt. Zudem ist nicht einmal zu erahnen, wie der Staat Ukraine nach dem Ende der Kämpfe gegen die russischen Eroberer aussehen wird. Ihren eigenen, strengen Aufnahmeregeln folgend hätte die Europäische Union also genügend Gründe, den Beitrittswunsch der Ukraine weit von sich zu weisen.
Was aber wäre dann die europäische Botschaft an den russischen Aggressor?
Die Ukraine darf angegriffen, erobert und zerstückelt werden, ohne dass Moskau von europäischer Seite außer wirtschaftliche Strafmaßnahmen ernst zunehmende Folgen zu befürchten hätte. Und was hieße es für die EU selbst? Eine Absage an ihre hehren Prinzipien, die Demokratie zu unterstützen und die politische Stabilität in der Nachbarschaft zu verbessern. Es hieße auch, den Wunsch aufzugeben, geopolitisch eine Macht zu sein. Natürlich kann man nach dem Motto agieren: Wenn es schwierig wird, dann bitte draußen bleiben – aber dann sollte die Europäische Union auch möglichst nie mehr von einer Weltpolitik-Fähigkeit träumen.
Was der kriegsgebeutelten Ukraine nun von der EU angeboten wird – wobei die EU-Staats- und Regierungschefs nächste Woche erst noch geschlossen zustimmen müssen – ist ein allererster Schritt eines jahrelangen Marathons. Der Status als EU-Kandidat hat vor allem Symbolwirkung. Er bedeutet: Die Ukraine gehört zur europäischen Familie, sie könnte eines fernen Tages der EU tatsächlich angehören. Er ist aber auch ein Signal an Moskau: Russland soll zurückgedrängt werden. Und das ist wohl das wichtigste Signal von allen: Die EU zückt die geopolitische Machtkarte und nimmt es mit Russland im Kampf um Einflusszonen auf. Wie sie sich durchsetzen wird und ob Kremlherrn Putin das überhaupt kümmert, bleibt abzuwarten.
Was aber ein EU-Kandidatenstatus nicht bedeutet, ist die rasche Aufnahme: Zu sehen am Beispiel der Türkei – sie hat diesen Status seit mehr als 20 Jahren. Ihre Wahrscheinlichkeit, der EU beizutreten, liegt bei nullkommanull. Auch für die Ukraine sind die Chancen, eines Tages tatsächlich EU-Mitglied zu sein, aus heutiger Sicht herzhaft gering. Erfüllt sie die strengen politischen und wirtschaftlichen Bedingungen der EU nicht, wird sie nicht beitreten. Die Europäische Union ist kein Staatenklub, der sich mit der Hereinnahme eines unfitten neuen Mitgliedes selbst zerstören will. Die Ukraine wird also vorerst auf einer Wartebank sitzen. Aber zumindest von dort aus soll ihr Mut gemacht werden. Was Europa also gibt, ist ein Versprechen. Garantien gibt es aber dafür keine.
Die Europäische Union ist kein Staatenklub, der sich mit der Hereinnahme eines unfitten neuen Mitgliedes selbst zerstören will