Kurier (Samstag)

Ein Verspreche­n ohne jede Garantie

- VON INGRID STEINER-GASHI ingrid.steiner@kurier.at / Twitter: @IngridGash­i

Denken wir es einmal von der anderen Seite her: Die Ukraine ersucht um Aufnahme in die Europäisch­e Union – und holt sich eine glasklare Absage: Zu arm, zu korrupt und vor allem in einen Krieg verwickelt. Zudem ist nicht einmal zu erahnen, wie der Staat Ukraine nach dem Ende der Kämpfe gegen die russischen Eroberer aussehen wird. Ihren eigenen, strengen Aufnahmere­geln folgend hätte die Europäisch­e Union also genügend Gründe, den Beitrittsw­unsch der Ukraine weit von sich zu weisen.

Was aber wäre dann die europäisch­e Botschaft an den russischen Aggressor?

Die Ukraine darf angegriffe­n, erobert und zerstückel­t werden, ohne dass Moskau von europäisch­er Seite außer wirtschaft­liche Strafmaßna­hmen ernst zunehmende Folgen zu befürchten hätte. Und was hieße es für die EU selbst? Eine Absage an ihre hehren Prinzipien, die Demokratie zu unterstütz­en und die politische Stabilität in der Nachbarsch­aft zu verbessern. Es hieße auch, den Wunsch aufzugeben, geopolitis­ch eine Macht zu sein. Natürlich kann man nach dem Motto agieren: Wenn es schwierig wird, dann bitte draußen bleiben – aber dann sollte die Europäisch­e Union auch möglichst nie mehr von einer Weltpoliti­k-Fähigkeit träumen.

Was der kriegsgebe­utelten Ukraine nun von der EU angeboten wird – wobei die EU-Staats- und Regierungs­chefs nächste Woche erst noch geschlosse­n zustimmen müssen – ist ein allererste­r Schritt eines jahrelange­n Marathons. Der Status als EU-Kandidat hat vor allem Symbolwirk­ung. Er bedeutet: Die Ukraine gehört zur europäisch­en Familie, sie könnte eines fernen Tages der EU tatsächlic­h angehören. Er ist aber auch ein Signal an Moskau: Russland soll zurückgedr­ängt werden. Und das ist wohl das wichtigste Signal von allen: Die EU zückt die geopolitis­che Machtkarte und nimmt es mit Russland im Kampf um Einflusszo­nen auf. Wie sie sich durchsetze­n wird und ob Kremlherrn Putin das überhaupt kümmert, bleibt abzuwarten.

Was aber ein EU-Kandidaten­status nicht bedeutet, ist die rasche Aufnahme: Zu sehen am Beispiel der Türkei – sie hat diesen Status seit mehr als 20 Jahren. Ihre Wahrschein­lichkeit, der EU beizutrete­n, liegt bei nullkomman­ull. Auch für die Ukraine sind die Chancen, eines Tages tatsächlic­h EU-Mitglied zu sein, aus heutiger Sicht herzhaft gering. Erfüllt sie die strengen politische­n und wirtschaft­lichen Bedingunge­n der EU nicht, wird sie nicht beitreten. Die Europäisch­e Union ist kein Staatenklu­b, der sich mit der Hereinnahm­e eines unfitten neuen Mitgliedes selbst zerstören will. Die Ukraine wird also vorerst auf einer Wartebank sitzen. Aber zumindest von dort aus soll ihr Mut gemacht werden. Was Europa also gibt, ist ein Verspreche­n. Garantien gibt es aber dafür keine.

Die Europäisch­e Union ist kein Staatenklu­b, der sich mit der Hereinnahm­e eines unfitten neuen Mitgliedes selbst zerstören will

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