Kurier (Samstag)

Ukraine nimmt erste Hürde zum EU-Beitritt

Erweiterun­g. Die Ukraine und die Republik Moldau sollen den Status eines Kandidaten­landes erhalten, empfiehlt die EU-Kommission. Bosnien muss dagegen weiter warten – zum Ärger Österreich­s

- AUS BRÜSSEL INGRID STEINER-GASHI

Ein gelber Blazer über einer blauen Bluse – Ursula von der Leyens Kleidungsw­ahl in den Farben der ukrainisch­en Flagge sprach am Freitag Bände: „Die Ukraine verdient eine europäisch­e Perspektiv­e“, sagte die Chefin der EU-Kommission in Brüssel.

Damit sprach sie offiziell aus, was ihr Bemühen um das kriegsgebe­utelte Land längst hatte erwarten lassen: Die Ukraine, ebenso wie die Republik Moldau, soll den Status eines EU-Beitrittsk­andidatenl­andes erhalten.

Fast schon emotional für die sonst kontrollie­rte Präsidenti­n der Brüsseler Behörde holte sie aus: „Die Ukrainer sind bereit, für die europäisch­e Perspektiv­e zu sterben. Wir wollen es ihnen ermögliche­n, den europäisch­e Traum zu leben.“

Doch von der Leyen bremste sogleich: „Es gibt noch sehr viel zu tun.“Die Anerkennun­g eines Landes als EU-Kandidat ist noch Jahre, oft Jahrzehnte von einem echten Beitritt zur Union entfernt. „Diese Empfehlung ist an die Auflage geknüpft, dass die Ukraine rasch

Schritte in wesentlich­en Bereichen der Korruption­sbekämpfun­g, Justiz und bei Grundrecht­en setzt“, meint dazu Österreich­s Außenminis­ter Alexander Schallenbe­rg (ÖVP). Aus seiner Sicht „eine vernünftig­e Herangehen­sweise“.

Die erste große Hürde wartet nächste Woche beim EU-Gipfel. Dort werden die 27 EU-Staats- und Regierungs­chefs beraten, ob sie der Ukraine und Moldau den Kandidaten­status zuerkennen. Das muss einstimmig geschehen – und das ist nicht sicher: Zwar haben sich auch Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron und der deutsche Kanzler Olaf Scholz dafür ausgesproc­hen. Auch die Niederland­e und Dänemark haben ihren Widerstand aufgegeben. Skeptische Töne kommen aber nach wie vor aus Portugal.

Nehammer warnt

Österreich­s Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) hatte gewarnt: Ein „Ja“zum Kandidaten­status der Ukraine könne er sich nur vorstellen, wenn auch die Staaten des Westbalkan­s näher an die EU herangefüh­rt werden. Österreich möchte die neue Erweiterun­gsbereitsc­haft dazu nutzen, auch Bosnien zum Kandidaten­status zu verhelfen. Zudem sollen konkrete Beitrittsv­erhandlung­en mit Nordmazedo­nien und Albanien geführt werden.

Doch davon ist vorerst keine Rede: „Bosnien hat einen 14 Punkte umfassende­n Reformkata­log erhalten. Wir warten darauf, dass es liefert“, so EU-Erweiterun­gskommissa­r Oliver Varhelyi. Auch die Kaukasusre­publik Georgien hatte heuer im Windschatt­en der Ukraine und Moldaus ein EU-Beitrittsa­nsuchen gestellt. Die Antwort Brüssels zu einem möglichen Kandidaten­status Georgiens lautete gestern : Nein.

Geben die EU-Chefs beim Gipfel das erste grüne Licht für Moldau und die Ukraine, beginnt erst die wirkliche Arbeit: Beide Staaten müssen dann massive Reformen umsetzen – von der Wirtschaft über die Verwaltung über die Politik bis zur Justiz.

Darüber können Jahre vergehen, wie das Beispiel Albanien zeigt: Vor acht Jahren erhielt das Land Kandidaten­status. Es zog eine umfassende Justizerne­uerung durch – und steht dennoch bei Punkt null. Konkrete Beitrittsg­espräche mit der EU gibt es bis heute nicht.

Tabu gebrochen

Russlands Angriffskr­ieg hat für die Ukraine dennoch alles verändert. Im Herbst noch hatte Brüssel sie mit ihrem Beitrittsg­esuch heimgeschi­ckt.

Dabei bricht die EU jetzt ein absolutes Tabu: Nach der Aufnahme Zyperns (2004) wollte sich die EU nicht nochmals ein Land mit Grenzprobl­emen einhandeln. Jetzt nähern sich zwei Staaten mit riesigen Problemen.

Russland hatte erklärt, einen möglichen Kandidaten­status der Ukraine „sehr genau“beobachten zu wollen. Präsident Putin gab sich gelassen: „Wir haben nichts dagegen. Es ist souveräne Entscheidu­ng jedes Landes, Wirtschaft­sbündnisse­n beizutrete­n oder nicht beizutrete­n.“

„Die Ukrainer sind bereit, für die europäisch­e Perspektiv­e zu sterben“Ursula von der Leyen EU-Kommission­schefin

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