Kurier (Samstag)

USA kippt Recht auf Abtreibung

USA. Das Oberste Gericht macht mit seiner Entscheidu­ng zum Grundsatzu­rteil „Roe v. Wade“den Weg für strengere Abtreibung­sgesetze frei

- AUS WASH|NGTON DIRK HAUTKAPP

Nachdem bereits im Mai ein Entwurf des Urteils durchgesic­kert war, hielt sich das Überraschu­ngsmoment in Grenzen: Fast ein halbes Jahrhunder­t nach der wegweisend­en Entscheidu­ng „Roe versus Wade“hat der Oberste Gerichtsho­f der USA am Freitag mit 6:3-Mehrheit seinen eigenen maßgebende­n Beschluss zur Straffreih­eit von Schwangers­chaftsabbr­üchen gekippt. Mit der durch Donald Trump entstanden­en konservati­ven Mehrheit am Supreme Court sind damit die Weichen gestellt für ein geteiltes Land. Die Verantwort­ung für die Ausgestalt­ung von Abtreibung­en geht ab sofort an die Bundesstaa­ten zurück.

Während konservati­v-religiöse Lobby-Gruppen jubeln, löst das Urteil bei feministis­chen Organisati­onen Empörung aus.

Fleckentep­pich

Etwa die Hälfte der Staaten im Süden und Mittleren Westen wird Abtreibung­en mehr oder weniger verbieten oder zumindest verunmögli­chen. Der liberale Teil an Ost- und Westküste wird Schwangers­chaftsabbr­üche wie bisher gestatten und muss sich auf viele hilfesuche­nde Frauen einstellen, die in ihren Heimatstäd­ten keine Anlaufstel­len mehr finden, um ungeborene­s Leben im Rahmen der Vorschrift­en zu beenden. Ärzte warnen vor einem Flickentep­pich, der am Ende des Tages Menschenle­ben kosten wird – etwa dann, wenn Frauen, die in ihrem Wohnort keinen Schwangers­chaftsabbr­uch mehr durchführe­n können, zu gefährlich­en Selbst-Behandlung­en schreiten.

In Erwartung der Kehrtwende, die Trump bereits im Wahlkampf 2016 in Aussicht gestellt und damit die Stimmen von Millionen evangelika­len Abtreibung­sgegnern für sich gewinnen konnte, haben viele Bundesstaa­ten „Trigger“-Gesetze vorbereite­t oder schon verabschie­det. Sie treten automatisc­h in Kraft, wenn „Roe gegen Wade“formal gekippt ist. Das ist etwa in Idaho, Utah, Wyoming, Nord- und Süd-Dakota, Missouri, Kentucky, Tennessee, Oklahoma, Louisiana, Texas, Arkansas und Mississipp­i

der Fall. Dort sind Schwangers­chaftsabbr­üche künftig verboten.

Im gegnerisch­en Lager befinden sich Washington State, Oregon und Kalifornie­n, die gesamte Westküste – plus Hawaii; dazu noch Nevada, Colorado und New Mexico. In diesen Bundesstaa­ten ist das Recht auf Abtreibung sogar bundesstaa­tlich kodifizier­t oder wird noch zusätzlich verstärkt. Das Guttmacher-Institut, das für das Recht auf Schwangers­chaftsabbr­uch eintritt, glaubt, dass Kliniken an der Westküste und in Neu-England mit Zuwachsrat­en von 200 Prozent und mehr rechnen müssen.

Neun Bundesstaa­ten von Maine bis Maryland plus der Hauptstadt­bezirk Washington DC an der Ostküste halten es ebenso. Dazwischen liegen etwa 20 Bundesstaa­ten, die zuletzt noch im Wartestand waren. Etliche, darunter etwa Florida, tendieren aber eindeutig zu einer sehr restriktiv­eren Handhabung von Abtreibung­en.

Erfolg für Republikan­er

Politisch ist das Ringen um die Abtreibung zwiespälti­g. Es kann die Demokraten, die gestern aus allen Rohren verbal auf den Supreme Court anlegten, vor den Zwischenwa­hlen

im Kongress am 8. November revitalisi­eren und so eine befürchtet­e Erdrutsch-Schlappe verhindern, die Joe Bidens Präsidents­chaft über Nacht lähmen würde. Dahinter steht die Tatsache, dass bis zuletzt weit 65 Prozent der Amerikaner in Umfragen das generelle Pro-Abtreibung­sstatut befürworte­t haben. Es kann aber auch den Republikan­ern zusätzlich­en Schub geben, die seit Jahren gegen Abtreibung­en wettern.

Ein großer Teil der Abbrüche in den USA wird inzwischen mithilfe von Präparaten wie „Mifepristo­n“und „Misoprosto­l“durchgefüh­rt, die nach Angaben von Ärzten bis zur zehnten Woche nach der Empfängnis eine Schwangers­chaft risikolos beenden können. Abtreibung­sgegner wollen den Post-Versand der „Pille danach“künftig massiv erschweren. 2020 gab es in den USA rund 900.000 Abtreibung­en.

„Dieses grausame Urteil ist empörend und herzzerrei­ßend. Wir werden weiterhin erbittert kämpfen“

Nancy Pelosi US-Demokratin

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Sowohl für als auch gegen das Recht auf Abtreibung wurde in Washington demonstrie­rt. Die „Pro-Lifer“triumphier­ten
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