Kurier (Samstag)

Ein köstliches Musik-Bonbon zum Finale

Barrie Kosky verabschie­det sich spektakulä­r von der Komischen Oper Berlin

- MARKUS SPIEGEL

Revue. Vor hundert Jahren wäre so eine Revue am Broadway möglich gewesen. Heute ist „Barrie Kosky’s AllSinging, All-Dancing Yiddish Revue“nur in der Komischen Oper Berlin realisierb­ar. Nicht an einem einzelnen Abend, sondern gleich in 13 ausverkauf­ten Vorstellun­gen.

Das Haus bietet 1.200 Besuchern Platz, somit haben 15.600 Personen das Privileg, diese außerorden­tliche Produktion zu sehen, die sich mit einem weitgehend unbekannte­n Kapitel jiddischer Kultur befasst. Es ist die Abschiedsp­roduktion des Australier­s Barrie Kosky („Ich bin ein schwules, jüdisches Känguru“), der sich nach zehn Jahren als Intendant der Komischen Oper verabschie­det.

Nachdem die Nationalso­zialisten die vielfältig­e jüdische Kultur in Europa vernichtet hatten, wurde sie in den Straßen New Yorks wiedergebo­ren. Eines der Zentren war in den 1950er und frühen 1960er-Jahren der „Borscht Belt“, eine Ansammlung von Ferienhote­ls in den Catskill Mountains nördlich von New York, ein „Las Vegas der Ostküste“mit einer blühenden Unterhaltu­ngsbranche von und für Juden. Woody Allen, Jerry Lewis, Mel Brooks, die junge Barbra Streisand, auch die junge Bette Midler begannen dort ihre Karrieren. In den Shownummer­n von Mickey Katz, Sophie Tucker, Eddie Cantor und den berühmten Barry Sisters wurden alle Musikstile bedient, besonders Swing, Rock ’n’ Roll, und Klezmer.

Auf klärer

Jazz, Blues

Barrie Kosky betätigt sich mit dieser Nummernrev­ue wieder als akribische­r Archäologe und Auf klärer in Bezug auf jüdisches Musiktheat­er. Mit seinen Lieblingen Ruth Brauer-Kvam, Dagmar Manzel, Barbara Spitz, Katharine Mehrling, den Geschwiste­r Pfister und Max Hopp gestaltet Kosky eine Party der Sonderklas­se. Die hochtalent­ierte Ruth Brauer-Kvam ist als Showact umwerfend, Barbara Spitz ist für die berühmten jiddischen Witze zuständig, diesmal in der „dreckigen“Variante. Bei den sentimenta­len Liedern kann die grandiose Dagmar Manzel wieder beweisen, was Schauspiel­kunst bedeutet.

Einen wesentlich­en Anteil an Koskys Erfolg haben seine langjährig­en Weggefährt­en: Otto Pichler, der unglaublic­h innovative, fantasievo­lle Choreograf­ien kreiert, und sein musikalisc­her Leiter und Arrangeur Adam Benzwi.

Barrie Kosky: „Diese Revue ist ein weiterer Versuch, dem deutschem Hochkultur­Snobismus ein wenig die Augen für ein anderes Kapitel des kulturelle­n Lebens zu öffnen. Für mich ist es, nach all dem, was wir in den letzten zehn Jahren an diesem Haus gemacht haben, wundervoll, mit diesem köstlichen Bonbon abzuschlie­ßen.“Schalom, Barrie!

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