Kurier (Samstag)

„ICH WAR EIN GELIEBTES KIND“

|hre Popularit▶t und ihr Name werden stets im selben Atemzug genannt: Publikumsl­iebling. |m |nterview erz▶hlt Schauspiel­erin Maria Happel, wie sich das anfühlt, dauernd geliebt zu werden. Sie spricht über den neuen Kurs, den sie als Chefin der Festspiele

- Von Alexander Kern

Im riesigen Garten diskutiere­n in einem Eck junge Menschen im Sesselkrei­s, am anderen Ende übt eine Gruppe den Kampfsport Aikidō. Wir treffen Maria Happel im ehrwürdige­n Max-Reinhardt-Seminar in Wien, die bekanntest­e Schauspiel­schule im deutschspr­achigen Raum wird von ihr geleitet. Ihre Schüler spielen auch bei den Festspiele­n Reichenau (in „Frühlings Erwachen“) mit, als neue Präsidenti­n des niederöste­rreichisch­en Theaterfes­tivals an der Rax hat sie für 2.7.–6.8. ein spannendes Programm zusammenge­stellt: „Die Möwe“etwa mit ihrer Tochter Paula Nocker als „Nina“, oder die Damenversi­on von „Ein seltsames Paar“. Dazu kommen Gesprächsa­bende mit „Alten Meistern“von Peter Stein bis Claus Peymann.

freizeit: Frau Happel, Spencer Tracy hat gesagt, man muss als Schauspiel­er nur seinen Text kennen und nicht gegen die Möbel stoßen. Was macht für Sie einen guten Schauspiel­er aus?

Jemand ist gut, wenn er so ist wie Tracy und sich nicht viele Gedanken macht. Einer, der beim Rausgehen auf die Bühne noch einen Witz reißt. Genauso gut ist aber jemand, der den ganzen Tag braucht, um sich für die Abendvorst­ellung vorzuberei­ten. Da tickt jeder anders.

Erzählen Sie noch einen Witz, kurz davor?

Kommt auf das Stück an. Es gibt Rollen, da ist das möglich. Bei „Mutter Courage“geht man anders rein als in „Arsen und Spitzenhäu­bchen“.

Schon als Kind sind Sie mit der Orgel vor der

Schule gestanden und haben gespielt. War das der erste Schritt, raus auf die Rampe?

Wahrschein­lich. Der Wunsch zum Theater zu gehen war eine Schlussfol­gerung dessen, was zuvor war. Verrückt eigentlich, wie jung man entscheide­n muss, wie das Leben weitergeht und welchen Beruf man ergreift. Ich behaupte, dass ich Glück gehabt habe. Ich war am richtigen Ort, kannte die richtigen Menschen, vertraute darauf, dass alles seine Richtigkei­t hat. Ich würde keinen anderen Beruf ausüben wollen. Für mich hat es sich gut gefügt. Andere haben weniger Glück.

Ihr Vater war ein Winzer, Ihre Mutter besaß einen Frisiersal­on. Wie weit ist als Tochter aus diesem Haus der Weg zum Schauspiel?

Man weiß ja nie, wie weit der Weg ist, wenn man beginnt, ihn zu gehen. Man geht einfach los, so wie ich, raus aus dem Dorf, rein in die Großstadt, und sagt: Ich werde Schauspiel­erin. Und steht dann an einer U-Bahnstatio­n, wo alle fünf Minuten so viele Menschen aus einem Zug steigen, wie sie im ganzen Dorf zuhause sind. Und von diesen Menschen ist nicht einer dabei, der wie im Dorf sagt: „Grüß dich, Maria.“Das ist schon heftig.

Mussten Sie anfangs viele Absagen einstecken?

Ich wurde am Anfang etwa wegen meines starken Heimatdial­ekts abgelehnt, der von einer Bühnenspra­che so weit entfernt war, wie ich von der NASA. Sich diesen Schwierigk­eiten zu stellen, war hart. Aber: Nichts war so schlimm wie die Vorstellun­g, in mein Dorf zurückgehe­n zu müssen.

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Und einzugeste­hen: Ich habe es nicht geschafft.

Fiel der Abschied von den Eltern im Dorf im Spessart schwer?

Sehr schwer. Ich bin ja nicht gern gegangen, war dort gut aufgehoben. Es gab halt nur kein Theater. Das war der einzige Grund für mich wegzugehen.

Wie haben Sie sich mit dem Theater-Virus angesteckt?

Aus München kam eine Schauspiel­truppe in meine Schule im Dorf. Sie spielten Brechts „Kaukasisch­en Kreidekrei­s“, wir durften Mägde und andere kleine Rollen spielen. Ich dachte: Was, damit kann man Geld verdienen? Das will ich auch.

Was sagten Ihre Eltern dazu?

Die fanden das nicht so prickelnd. Sie haben mir aber auch keine Steine in den Weg gelegt. Meine Mutter träumte davon, dass ich Dom-Organistin werde. Mein Musiklehre­r kam zu uns nach Hause und legte ein gutes Wort für mich ein. Ihm haben sie vertraut. Sie dachten, wenn sich dafür sogar ein Lehrer auf den Weg macht, wird da wohl was dran sein. Meine Eltern konnten mir zwar nicht helfen, aber haben immer an mich geglaubt. Und mir Rückhalt gegeben. Als mein erstes Jahr in Hamburg schwierig war, sagte meine Mutter zu mir: Weißt du, du kannst jederzeit zurück und heimkommen und zu uns auf den Weinberg. Sie haben mir eine große Sicherheit gegeben. Mein ganzes Leben lang. Ich war ein geliebtes Kind.

Jetzt leiten Sie die Festspiele Reichenau, verfolgen damit einen neuen Kurs.

Bei uns spielen fünf Theatergen­erationen. Vom 84-jährigen Martin Schwab bis zu meinen jungen Studenten des Reinhardt-Seminars in „Frühlings Erwachen“. „Die Möwe“schließt für mich einen Kreis, weil meine erste Inszenieru­ng in Reichenau von Tschechow war, „Der Kirschgart­en“. Ich wollte auch von Anfang an eine Komödie im Programm, es wurde eine weibliche Version von „Ein seltsames Paar“. Claus Peymann ist da, Hermann Beil, Stefan Jürgens – viele kenne ich lange, bin ihnen freundscha­ftlich verbunden. Ich habe versucht, Brüder und Schwestern im Geiste um mich zu scharen.

Ihr Name zieht stets ein „Publikumsl­iebling“nach sich. Ist das immer angenehm?

Diese Bezeichnun­g kann auch eine Last sein. Ich frage mich ja selbst, wie ich zum „Publikumsl­iebling“wurde, das ist ein Thema, das ich schon lange mit mir herumtrage. Entscheide­nd ist Folgendes: Man kann nun mal nicht aus seiner Haut. Und man macht nicht immer selber die Dinge, sondern |

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