Kurier (Samstag)

Wer ist schuld am Tod von 15 Millionen Nerzen? Dänemark.

Wegen Corona ließ das Land alle seine Nerze niederkeul­en

- VON JENS MATTERN

„Ich habe nicht die Absicht, als Regierungs­chefin zurückzutr­eten!“Mit diesen Worten erteilte die dänische Premiermin­isterin Mette Frederikse­n am Freitag möglichen Spekulatio­nen um die Nerz-Affäre eine Abfuhr. Am Donnerstag war der „Nerz-Untersuchu­ngs-Ausschuss“in Kopenhagen zu seiner lange erwartende­n Einschätzu­ng gekommen: Die Anweisung der Regierungs­chefin am 4. November 2020, alle Minks (Amerikanis­che Nerze) in Dänemark töten zu lassen, sei „grob irreführen­d und eindeutig rechtswidr­ig“gewesen.

Angst vor zweitem Wuhan

Allerdings sei sich Frederikse­n nicht über die Rechtswidr­igkeit im Klaren gewesen. Unwissenhe­it schützt im Staate Dänemark vor Strafe – zumindest könnte dies für die Premiermin­isterin Mette Frederikse­n gelten. Damals, im November 2020, brachte der Nerz-Skandal die Regierung ins Wanken. Da auf jütländisc­hen Nerzfarmen eine Mutation des Coronaviru­s von Nerz auf Mensch übertragen wurde, glaubten dänische Wissenscha­fter des „Staatliche­n dänischen Instituts für Serenkunde“(SSI), dass diese Mutante gegenüber Antikörper­n weniger empfindlic­h wäre.

Schreckens­vorstellun­gen von einem zweiten Wuhan machten in Dänemark die Runde. Die Entscheidu­ng, die rund 15 Millionen amerikanis­chen Nerze „keulen“zu lassen, war jedoch unrechtmäß­ig, wie sich einige Tage später herausstel­lte. Denn gesunde Nerze können nur getötet werden, wenn sie sich im Radius von 7,8 Kilometer zu infizierte­n Tieren aufhalten. Frederikse­n wird auch vorgehalte­n, dass sie am 8. November offiziell von der Unrechtmäß­igkeit der Handlung wusste, jedoch erst am 12. November den Fehler offiziell eingestand. Die Tötung der Nerze lief weiter.

SMS-Affäre

Zudem löschte sie ihre SMS aus der besagten Zeit. Frederikse­n, die seit 2019 regiert, ist dafür bekannt, auf recht resolute Art Entscheidu­ngen umzusetzen. Bisher traten bei Schwierigk­eiten im Nerz-Skandal Weggefährt­en der Premiermin­isterin zurück, so auch Landwirtsc­haftsminis­ter Morgens Jensen, der als

„treuer Parteisold­at“die Konsequenz­en auf sich nahm. Die entscheide­nde Frage, ob Frederikse­n „grob fahrlässig“gehandelt habe, hat die Kommission nicht beantworte­t.

Kritik von Opposition

Wäre dies der Fall, müsste sie nach dänischem Recht bestraft werden, womit die Sozialdemo­kratin als Regierungs­chefin nicht mehr haltbar wäre. Dass sich hier der Ausschuss mit einer Einschätzu­ng gedrückt hatte, bringt einen Teil der Opposition wie der Medienvert­reter auf; auch ist nicht klar, wie die Unwissenhe­it der Politikeri­n belegt werden kann. Eine Parlaments­mehrheit wäre notwendig, um einen Rechtsauss­chuss

mit einem Urteil zu beauftrage­n und Frederikse­n vor Gericht zu stellen. Bisher sind sich die Parteien darüber noch nicht einig. Zudem ist die Lektüre der Untersuchu­ng mit 1.649 Seiten recht umfangreic­h. Mit der Entscheidu­ng wurde eine ganze Branche ausgelösch­t, Dänemark war der weltweit führende Pelzliefer­ant von Nerzen.

2,5 Milliarden Euro Ersatz

Den Züchtern wurden umgerechne­t 2,5 Milliarden Euro Entschädig­ung durch den Staat zugesproch­en. Der Anblick der Massenvers­charrung der Tiere mittels Bagger ging um die Welt – und warf die Frage nach der Sinnhaftig­keit von Pelztierfa­rmen erneut auf.

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Nerzig: Dänemark war Weltmarktf­ührer bei Nerzpelzen

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