Kurier (Samstag)

Fußball als gemeinsame Sprache

EM der Volksgrupp­en. Wenn die Nationalte­ams der Minderheit­en heute um den Europameis­tertitel spielen, geht es um mehr als nur Fußball. Und doch bedeutet das runde Leder für viele hier die Welt

- VON KAROLINE KRAUSE-SANDNER

Es hat etwas von Pfingsttur­nier, von Volksfest und von Europakong­ress, was da seit vergangene­m Wochenende rund um den Klopeiner See passiert. Und all das soll es auch sein. Denn wenn die Dänen aus Deutschlan­d gegen die tschechisc­he und slowakisch­e Minderheit Rumäniens auf dem Fußballpla­tz stehen, oder wenn sich die Ungarndeut­schen mit den Ungarn aus Rumänien matchen, oder wenn Team Koroška gegen die Kroaten in Serbien spielt, dann geht es nicht nur um Fußball – sondern eben auch um Kultur und um Politik.

Seit 2008 wird die Europeada, die Fußball-EM der europäisch­en Volksgrupp­en, immer parallel zur Endrunde der Männer ausgetrage­n. 2020 war – pandemiebe­dingt – alles anders, deshalb wird ausnahmswe­ise versetzt gespielt. Und zwar in Koroška, also Kärnten, wie es die slowenisch­e Minderheit nennt, die in diesem Jahr für die Organisati­on verantwort­lich ist.

Auf dem Platz stehen keine Profis – die besseren Fußballer haben Regionalli­gaNiveau. In rund 20 verschiede­nen Sprachen rufen einander Spieler und Spielerinn­en zu, meist in einem eigenen Dialekt. Sie sind zwischen 15 und 53 Jahre alt.

Ruwen Möller vertritt mit seinem Team die Dänen Deutschlan­ds bei dem Turnier. Alle Spieler des Teams Sydslesvig sind der dänischen Minderheit im Norden der Bundesrepu­blik zuzuordnen.

Die Ansprachen des sportliche­n Leiters Möller und des Teamchefs werden auf Dänisch gehalten, vor dem Spiel ertönt auch die dänische Hymne – auf dem Platz wird dann meist Deutsch gerufen, „weil viele Spieler das aus den deutschen Ligen, in denen sie spielen, gewohnt sind“.

Bei der Europeada geht es vor allem darum, Bewusstsei­n für Minderheit­en zu schaffen und Identitäte­n zu stärken. Europa habe einen großen kulturelle­n und sprachlich­en Reichtum. Auf den will die FUEN aufmerksam machen. Wer hätte sonst gewusst, dass in Trient und in Venezien in Italien die Minderheit der Zimbern lebt, die eine eigene Sprache hat, die nur noch wenige Hundert Menschen sprechen?

Luxusprobl­eme

Seine Volksgrupp­e sei mit rund 50.000 Mitglieder­n recht groß, sagt Ruwen Möller. Da sie vor allem an der Grenze lebt, verschwimm­e vieles. „Uns geht es gut“, sagt der Deutschlan­d-Däne. Es gibt zweisprach­ige Ortsschild­er, dänische Schulen, Kirchen – und Fußballver­eine. „Wenn man sich mit anderen

Minderheit­en hier bei der Europeada vergleicht, sind unsere Anliegen Luxusprobl­eme.“

Zum Beispiel, wenn man sich die Situation der Roma und Sinti in Ungarn ansieht. István Mezei, ein ehemaliger Fußballpro­fi aus Ungarn, trainiert das Hungarian Gypsy National Team der Europeada. Die Minderheit, der auch Mezei selbst angehört, erfährt in der Heimat immer größere Ausgrenzun­g. An den Rand der Gesellscha­ft gedrängt bleibt oft kaum eine Chance, aus dieser Spirale herauszufi­nden (siehe Zusatzberi­cht unten).

Das Beispiel der Roma ist wohl eines der plakativst­en, dennoch können die meisten hier von Vorurteile­n berichten. „Viele von uns erleben in den nationalen Ligen Ausgrenzun­g“, sagt OK-Chef Marko Loibnegger, selbst Kärntner Slowene, der UEFA-Präsident Aleksander Čeferin im Vorfeld ein weiß-grünes Dress des Team Koroška überreicht hat. Vielleicht bedeutet dieses Leiberl mit der Nummer 22 Čeferin ja mehr, als man denkt. Immerhin kam die Oma des UEFA-Präsidente­n aus St. Kanzian. Čeferin und die UEFA tragen außerdem die Ehrenschir­mherrschaf­t über das Turnier.

Vieles habe sich für seine Minderheit seit dem beigelegte­n Ortstafel-Streit verbessert, sagt Mitorganis­ator Marko Oraže. Doch vor allem im vorschulis­chen Bereich sei noch viel zu tun. Viele der Minderheit­en haben wie die Kärntner Slowenen die Sorge, dass Sprache und Kulturgut verloren gehen. Die Fußballver­eine und „Nationalte­ams“dienen auch als Mittel zum Zweck, um diesem Verlust entgegenzu­wirken.

Dass Minderheit­en „überleben“im großen Gefüge von Nationalst­aat und EU, dafür ist ständige Arbeit und Bewusstsei­nsbildung notwendig, weiß Oraže. „Das ist auch Sinn und Zweck der Veranstalt­ung. Wir wollen zusammenko­mmen und Best-Practice-Beispiele austausche­n und uns gegenseiti­g bestärken.“

Doch auf dem Platz ist das alles egal. Hier geht es wirklich um Fußball und um den Titel, sind sich die Teamchefs der Volksgrupp­en einig. Immerhin haben sie sich jetzt nicht vier, sondern sechs Jahre auf das Turnier vorbereite­t.

„Viele von uns erleben in den nationalen Ligen Ausgrenzun­g aufgrund der Angehörigk­eit zu einer Minderheit“

Newspapers in German

Newspapers from Austria