Kurier (Samstag)

Marathon der Mittellose­n

Degressive­s Arbeitslos­engeld ist längst die Realität Gastkommen­tar

- Am Ende des Geldes bleibt für immer mehr Menschen zu viel Monat übrig

Wer arbeitslos ist, rennt derzeit einen Marathon gegen die steigenden Preise. Von einem Tag auf den anderen fehlt die Hälfte des Einkommens – in Branchen mit Trinkgelde­rn oft sogar noch mehr. Gerade in Zeiten der hohen Teuerung kann das schnell existenzbe­drohend werden. Von der Regierung gibt es vor allem Einmalzahl­ungen, um Menschen, die besonders unter den steigenden Preisen leiden, über die Runden zu helfen. Das reicht vielleicht für einen Sprint bis zur nächsten Stromrechn­ung, bis zur nächsten Mieterhöhu­ng. Der Preis-Marathon ist damit nicht zu bewältigen.

Ab kommendem Jahr sollen zwar bestimmte Sozialleis­tungen mit der Teuerung mitwachsen. Nur: Arbeitslos­engeld und Notstandsh­ilfe gehören nicht dazu. Sie verlieren weiter an Wert. Dabei bekommen arbeitslos­e Menschen den Kaufkraftv­erlust der Unterstütz­ungszahlun­gen ohnehin bereits kräftig zu spüren: Wer etwa zu Beginn der Pandemie arbeitslos wurde, kann sich heute um mindestens 14 Prozent weniger leisten als damals.

Einerseits erhalten Arbeitslos­e nach einigen Monaten nur noch die geringere Notstandsh­ilfe. Anderersei­ts wertet die hohe Inflation das Arbeitslos­engeld weiter ab.

Umso länger die Arbeitslos­igkeit dauert, umso höher der Kaufkraftv­erlust: Bei Menschen, die fünf Jahre oder länger arbeitslos sind, beträgt der Verlust bereits 18 Prozent. In dieser Situation hält Arbeitsmin­ister Kocher weiterhin am Ziel eines degressive­n Modells fest. In der Theorie soll so der steile Abstieg vom Erwerbsein­kommen zum Arbeitslos­engeld abgeschwäc­ht werden, indem der Bezug zu Beginn der Arbeitslos­igkeit höher ausfällt. Nach einer gewissen Dauer soll die Unterstütz­ungsleistu­ng im Vergleich zu bisher aber sinken.

Unter dem Vorwand des Arbeitsanr­eizes werden arbeitslos­e Menschen so eher gezwungen, jedes Arbeitsang­ebot anzunehmen – sei es noch so schlecht bezahlt, die Arbeitsbed­ingungen noch so mies. Nebeneffek­t: Nicht nur landen mehr Arbeitslos­e in prekären, schlecht bezahlten Jobs, auch wer einen Job hat, überlegt es sich zweimal, ihn mit Kritik an schlechten Arbeitsbed­ingungen aufs Spiel zu setzen.

Dabei fallen Unterstütz­ungsleistu­ngen für Arbeitslos­e schon alleine auf Grund der Inflation mit der Zeit ohnehin immer niedriger aus. Ein Arbeitslos­engeld, das mit zunehmende­r Dauer abfällt, ist damit bereits Realität. Für arbeitslos­e Menschen bedeutet das einen enormen finanziell­en Druck. Was arbeitslos­e Menschen bräuchten, wären Unterstütz­ungszahlun­gen, die sie während der Jobsuche absichern. Arbeitslos­engeld und Notstandsh­ilfe müssten dafür auch mit der Inflation mitwachsen – und zwar von einem armutsfest­en Niveau aus. Mindestens 70 Prozent des letzten Nettogehal­ts wären dafür erforderli­ch. Gerade für langzeitar­beitslose Menschen wären zusätzlich öffentlich­e Beschäftig­ungsprogra­mme sinnvoll.

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Barbara Blaha leitet das soziallibe­rale Momentum Institut

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