Kurier (Samstag)

SEX DA GEHT NOCH WAS

Emma Thompson spielt in „Meine Stunden mit Leo“eine pensionier­te Lehrerin, die sich mit Hilfe eines Callboys auf die Suche nach ihrer Lust macht. Darüber kann man lachen – und nachdenken: über weibliches Begehren und dass es für guten Sex nie zu spät ist.

- Gabriele.kuhn@kurier.at

Sie: „Also ich habe eine Liste mit Dingen, die ich gerne abarbeiten würde.“Er: „Ich denke, wir kommen ein gutes Stück voran.“Sie: „Gut, das ist gut. Gut.“Er: „Willst du mit dem Blowjob anfangen?“So lautet der Dialog zwischen einer älteren Dame und einem jungen Mann im neuen Film „Meine Stunden mit Leo“. Er wird in Österreich zwar erst am 2. September in den Kinos zu sehen sein, steht aber schon jetzt im Fokus. Kein Wunder: Erstens spielt darin die hinreißend­e Emma Thompson, zweitens geht es um Sex, Intimität und die späte Lust einer Frau, die Mut hat, endlich einmal etwas zu erleben und sich dafür erstmals über ihre persönlich­en Grenzen wagt.

Die Handlung: Die pensionier­te und verwitwete Lehrerin Nancy Stokes (gespielt von Thompson) hatte in ihrer durchaus soliden, aber langweilig­en Ehe nie einen Orgasmus und auch niemals einen anderen Mann. Nun gönnt sie sich eine Nacht mit dem 28-jährigen Callboy Leo Grande (Darsteller: Daryl McCormack) – in einem anonymen Hotelzimme­r, außerhalb der Stadt. Weil sie Sehnsucht spürt: nach Nähe, tollem Sex, nach Abenteuer. Aber wie es so ist im Film, kommt alles ein bisschen anders. Callboy Leo überrascht mit Witz, Interesse und Empathie, sie beginnt ihn zu mögen – und er, Überraschu­ng! – sie. Was dann passiert, sehen wir dann in den Kinos im September.

Das alles klingt zunächst nach einer locker-flockigen Komödie, näher betrachtet, werden wichtige Themen berührt. Sexarbeit, zum Beispiel, die im Film eher als „Sexualcoac­hing“daherkommt. Vor allem aber die Lust der Frauen. „Weiß jemand, ob Frauen mittleren Alters sexuelle Befriedigu­ng oder Vergnügen empfinden, oder interessie­rt sich jemand dafür?“, fragt Emma Thompson in einem Artikel zum

Film, den sie für die englische Vogue geschriebe­n hat. Tatsächlic­h zweifelt sie daran, ob „die Freuden der Frauen, egal, ob jung oder alt, ganz oben auf der To-do-Liste stehen“. Was sie da formuliert, ist wichtig: Denn auch im 21. Jahrhunder­t ist es für viele Frauen (vor allem jenseits der 40) keineswegs selbstvers­tändlich, über ihre Lust zu sprechen und schon gar nicht, sie zu priorisier­en. Weil sich viele vormachen, es sei nicht (mehr) wichtig genug. Thompson geht in dem Text noch weiter: „Warum fällt es so schwer, über Sex zu sprechen? Weil er ein Tabu ist, weil uns beigebrach­t wurde, dass er schmutzig oder unanständi­g oder unter unserer Würde ist, erniedrige­nd, tierisch, lüstern, sündig, gefährlich – und jenseits der Grenzen der anständige­n Normalität.“

Aus meiner Sicht fällt es Frauen immer noch schwer, herauszufi­nden, was sie wollen und für einen Orgasmus brauchen. Und noch mehr, es zu formuliere­n. Weil sie ihrem Bettpartne­r nicht das Gefühl vermitteln wollen, er mache was falsch. Viel eher geht’s darum, zu „gefallen“, im Sinne einer antrainier­ten Gefälligke­it. Wir funktionie­ren reibungslo­s, nur keine Troubles! Frauen sind gut im Bett, weil sie sich das so verordnen – egal, ob es sich für sie gut anfühlt. Umso wichtiger finde ich die Botschaft dieses Films – im Sinne einer Selbstvera­ntwortung und Ermutigung. Nämlich, dass auch jenseits der Ära jugendlich­er Knackigkei­t Sehnsüchte existieren, dass Begehren gelebt und erlebt werden darf. Exzessiv sogar! Dafür müssen Frauen etwas tun. Sich zuhören, dem Herzen, dem Bauch, den Sinnen, dem Körper. Respekt – für das weite Land der sexuellen Wünsche und, noch einmal, ganz besonders, für die Lust. Damit können wir Frauen gar nicht früh genug anfangen, und dafür ist es auch niemals zu spät.

„Weiß jemand, ob Frauen mittleren Alters sexuelle Befriedigu­ng oder Vergnügen empfinden, oder interessie­rt sich jemand dafür?“, fragt Emma Thompson in einem Artikel der britischen Vogue.

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