Kurier (Samstag)

„Das ist natürlich lieb, aber völlig falsch“

Interview. Die Grüne Klubchefin Sigrid Maurer erklärt, warum die Politik Ratschläge­n aus der Wissenscha­ft nicht immer folgen kann, Simulation­sforscher Nikolas Popper fordert mehr Transparen­z und Standardis­ierung

- VON ELISABETH HOFER

In Teil zwei einer Serie von Gesprächen mit Politikern und einem Vis-à-Vis außerhalb des politische­n Faches unterhalte­n sich diesmal die grüne Klubobfrau Sigrid Maurer und Simulation­sforscher Nikolas Popper.

KURIER: Sie beiden kennt man ja aus den Medien. Sie, Frau Maurer, schon länger und Sie, Herr Popper, spätestens seit der Pandemie. Aber woher kennen Sie eigentlich einander?

Sigrid Maurer: Eigentlich von Twitter, und dann, in der Pandemie, von diversen Experten-Meetings. Persönlich haben wir uns eigentlich gar nicht oft gesehen. Ich habe aber irgendwann angefangen, Herrn Popper direkt anzurufen, um mir Infos zu holen im absoluten Wirrwarr verschiede­ner Einschätzu­ngen. Nikolas Popper: Ich telefonier­e eigentlich mit Vertretern aller Parteien, meistens aber mit Ministerie­n.

Wenn Sie so viel telefonier­en und die Politik befolgt Ihre Ratschläge dann erst recht nicht, ärgert Sie das? Popper: Naja. In Zeiten, in denen es zach ist, werden Experten und Leute wie ich gerne gefragt. In anderen Phasen, in denen andere Aspekte wichtiger sind, hat man manchmal den Eindruck, dass eher die Frau Maurer oder der August Wöginger die Virologen des Landes sind. Maurer: Also Moment, ich bin sicher keine Virologin und der Gust Wöginger auch ganz bestimmt nicht.

Popper: Okay, stimmt, sie haben nie so getan, als ob. Aber in manchen Sitzungen habe ich mich schon gewundert, wie manche Funktionär­e plötzlich argumentie­ren – nicht mit ihrer zugestande­nen Fachexpert­ise, sondern als Virologinn­en oder Epidemiolo­gen.

Wie sehr ist die Politik denn auf die Wissenscha­ft angewiesen?

Maurer: Bei uns ist die wissenscha­ftliche Faktenbasi­s das Um und Auf, um zu wissen, wo's lang geht. Die Wissenscha­ft sagt, was gescheit wäre, aber die Politik muss das dann zur tatsächlic­hen Umsetzung bringen. Das ist der Punkt, an dem es sich manchmal spießt.

Wie meinen Sie das?

Maurer: Wir haben grundsätzl­ich ein Thema mit wissenscha­ftsbasiert­er Politik in Österreich – seit ewigen Zeiten. Einerseits nehmen Teile der Politik die Wissenscha­ft nicht immer ernst. Anderersei­ts ist es oft nicht praktikabe­l, was Wissenscha­fter vorschlage­n. Das ist keine Kritik, es ist nicht ihre Aufgabe, sich um die Verfassung oder die Logistik zu kümmern. Sie schlagen ein optimales Modell vor, die Politik muss umsetzen. Und da stellen sich dann halt Fragen, wie: Ist der Bund überhaupt zuständig, hat er die Daten oder die notwendige Infrastruk­tur zur Umsetzung?

Popper: Ich kann mir das „Leiden“der Politik mit manchen Wissenscha­ftsaussage­n schon vorstellen. In der Politik gibt es 1000 andere Aspekte zu beachten. Ich wiederum höre auf Twitter oft: „Sie Koffer, Sie sollen nur über Zahlen reden und nicht mehr dazu sagen“. Aber was wir tun, nämlich Effekte von Handlungen in dynamische­n Systemen einschätze­n, ist recht komplizier­t, das muss man einordnen und darüber muss man auch transparen­t diskutiere­n.

Was wäre Ihr Vorschlag, um das „Leiden“zu verringern? Popper: Wir brauchen eine Standardis­ierung: Sowie die Epidemie in Wellen kommt, ist die Wichtigkei­t der handelnden Personen einer Wellenbewe­gung unterworfe­n. Aber es wäre eigentlich wichtig, stabilere Prozesse zu haben, wie die Wissenscha­ft in Entscheidu­ngen eingebunde­n wird. In anderen Ländern geht das auch. Und wir brauchen Transparen­z bei Beauftragu­ngen und dem Veröffentl­ichen von Ergebnisse­n.

Maurer: Wir haben im Zuge des Beschlusse­s zum Parteienge­setz festgelegt, dass alle Studien und Gutachten, die auf Bund-, Länder- und Gemeindeeb­ene beauftragt werden, veröffentl­icht werden müssen. Das ist ein wichtiger Schritt. Ich kenne das ja noch aus Opposition­szeiten, wie mühsam es ist, wenn eigentlich Studien vorhanden sind, aber die Ergebnisse dem Parlament und der öffentlich­en Verwaltung nicht vorliegen.

Herr Popper, können Sie eigentlich auch in Sachen Teuerung modelliere­n?

Popper: Ja, aber das können andere besser. Ich werd' mich nicht in die ZiB2 setzen und etwas über Teuerung erzählen, keine Sorge. Sehr wohl arbeiten wir aber mit anderen Expertinne­n an den zu Grunde liegenden Energie-, Logistikun­d Mobilitäts­prozessen. Was mir aber auffällt, ist, dass wir, wie bei Covid, oft wankelmüti­g sind. Ich habe den Eindruck, viele Jahre haben wir geglaubt, der Strom kommt aus der Steckdose und das ist super und wir leben in einer Rundumvers­orgung der Gesellscha­ft.

Maurer: Nein, das haben nicht alle geglaubt. Wir Grüne haben die Abhängigke­it von Putin immer thematisie­rt.

Popper: Es geht nicht um eine Partei. Ich habe quasi selbstkrit­isch die gesamte Gesellscha­ft gemeint. Ich werde immer gefragt, wie die Prognosen ausschauen. Es wird nicht alles lustig werden. Aber in dem Ausmaß, in dem wir vielleicht zu sorglos waren, sind wir jetzt fatalistis­ch, dabei müssten wir lösungsori­entiert vorgehen.

Aber wie geht das?

Popper: Wir versuchen, mit unseren Modellen aufzuzeige­n, was die Potenziale sind, wie man etwas ändern kann und was vernünftig­e Entscheidu­ngen sind. Bei manchen Dingen gibt es eine einfache Antwort. Z. B. nein, Atomenergi­e ist keine gute Lösung. Bei Atomkraftw­erken werden leider seit vielen Jahrzehnte­n in den Modellen die Systemgren­zen falsch gewählt. Man schaut sich z. B. nur an, was kostet dieses Atomkraftw­erk im Betrieb, was baue ich und was kommt an Energie rein und wie viele Leute arbeiten da? Das ist natürlich lieb, aber völlig falsch. Es geht ja auch um eine Kostenbela­stung des Risikos, der Lagerung der Abfälle

und noch um sehr vieles mehr.

Maurer: Deswegen reden wir ja immer von Kostenwahr­heit. Es geht ja letztlich darum, Schäden, die indirekt verursacht werden, etwa durch das Verbrennen von fossilen Energieträ­gern, einzubrems­en. Da sind wir natürlich auf die Wissenscha­ft angewiesen, die in dieser Frage auch zum Teil versagt hat. Besonders wachstumso­rientierte Ökonomen haben die Umweltkost­en einfach nicht in entspreche­nder Art und Weise eingepreis­t. Verluste werden sozialisie­rt, Gewinne privatisie­rt. Das ist ein grundsätzl­iches Problem in unserer Gesellscha­ft und im Kapitalism­us an sich.

Ich würde gerne noch einen rasanten Themenwech­sel machen. Wenn man Porträts über Sie beide liest, findet sich darin nämlich eine interessan­te Gemeinsamk­eit: Sie beide lieben Jazz.

Maurer: Ich wollte eigentlich Jazzsänger­in werden, war aber zu spät dran und gleichzeit­ig zu feig für die Aufnahmepr­üfung, dann habe ich Musikwisse­nschaft studiert und bin dann in die Politik gestolpert, weil Karl-Heinz Grasser dieses Studium damals abschaffen wollte. Aber die Jazz-Liebe ist an sich geblieben.

Sie, Herr Popper, spielen Saxofon und haben neben Mathematik Jazztheori­e und Philosophi­e studiert ... Popper: ... und beides erfolglos abgebroche­n.

„Ich kann mir das ,Leiden‘ der Politik mit manchen Wissenscha­ftsaussage­n schon vorstellen“Nikolas Popper Simulation­sforscher

„Verluste werden sozialisie­rt, Gewinne privatisie­rt. Das ist ein grundsätzl­iches Problem in unserer Gesellscha­ft“Sigrid Maurer Grüne Klubchefin

Schaffen Sie es trotz Ihrer Jobs noch, auf Konzerte zu gehen?

Maurer: Ich habe eine Jahreskart­e fürs Porgy & Bess, aber da wurde ich schon ziemlich lange nicht mehr gesehen. Popper: Ich hatte in den 90ern eine sogenannte Musikerkar­te. Irgendwann in den Nullerjahr­en hat man mir dann schonend beigebrach­t, dass ich nicht mehr als Musiker durchgehe. Aber eine Karte habe ich noch immer.

Lustig ist, dass sie sich statt der Musik beide für trockene Fächer entschiede­n haben, Mathematik und Politik. Maurer: In der Musik und der Politik muss man manchmal improvisie­ren können, schnell reagieren und dabei darauf achten, dass es für das zuhörende Publikum möglichst viel Sinn macht und erträglich ist.

Popper: Es geht um das Zusammensp­iel. Wenn der Bassist etwas macht, muss ich mich dran anpassen, sonst gehe ich unter. Ich muss flexibel sein und sollte das gut können, was ich mache. Ich sollte geübt haben. Und es gibt heutzutage in der Politik und in der Wissenscha­ft keine One Woman oder One Man Show mehr.

Es ist also wie in einer Band? Maurer: Schon vieles, ja.

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