Faszination Pferd: Reine Mädchensache?
Warum gerade Mädchen von den großen Tieren begeistert sind
Als sie vor vier Jahren von einer Freundin auf den Pferdehof mitgenommen wurde, war es um Anna geschehen. Seither dreht sich die Welt der neunjährigen Volksschülerin um die großen Tiere. Ein ganzer Stall voller Schleichpferde wartet im Kinderzimmer, von zahlreichen Postern blicken Pferdefamilien aufs Geschehen, und auch zu den erlaubten Fernsehzeiten traben sie über den Bildschirm. Ganz zu schweigen vom neuesten „Bibi & Tina“-Film, der vor wenigen Tagen in den Kinos angelaufen ist, und bei dem sie ganz bestimmt im Publikum sitzen wird.
„Pferde sind so ruhige Wesen“, erzählt Anna begeistert, „wenn man gut mit ihnen umgeht, können sie zum besten Freund werden.“Da können Hunde einpacken.
Beziehungssache
Kerstin Schuller, Klinische und Gesundheitspsychologin bei Instahelp, einer Plattform für psychologische Beratung online, überrascht diese Aussage nicht. „Die Ursache für diese Faszination scheint zu einem großen Teil in der Beziehung zum und der Pflege rund um das Pferd zu liegen – teilweise noch mehr als das eigentliche Reiten selbst. Dabei schlüpfen sie in eine Art 'Mutter-Rolle', die gerade in jungen Jahren für Begeisterung sorgt. Dazu kommt die soziale Beziehung zu einem starken und kräftigen Lebewesen, die einen beschützenden und tragenden Effekt ausüben kann.“
Anna bestätigt das: „Ich muss gar nicht reiten, Hauptsache, ich kann beim Pferd sein.“Die Neunjährige ist in den vergangenen Jahren zur führenden Pferde-Expertin der Familie geworden. Pferderassen erkennt sie problemlos auf den ersten Blick, Reitschulpferd Kismet zäumt sie locker ohne Hilfe auf , die Grundlagen des Pferdeflüsterns sind ihr geläufig und der Ausflug zum Lipizzanergestüt Piber steht ganz oben auf ihrer Wunschliste. Auch eine persönliche Veränderung fällt ihr auf: „Seit ich reiten gehe, bin ich ein bisschen mutiger.“
Dass Reiten das Selbstbewusstsein stärkt, sagt auch
Kerstin Schuller. Kinder würden beim Umgang mit den Pferden das Gefühl erleben, gebraucht zu werden und die Sinnhaftigkeit ihrer Taten spüren. „Das vermittelt auch eine starke Selbstwirksamkeitserwartung: Das, was ich tue, hat unmittelbar einen Einfluss auf mein Umfeld – für jemand anderen bin ich wichtig.“
Nur für Mädchen?
Dass Pferde großteils reine Mädchensache sind, liegt für die Expertin hauptsächlich am gesellschaftlichen Umgang mit dem Thema. Pferde würden häufig als etwas Mädchenhaftes präsentiert und so dargestellt, dass sie die Interessen weiblicher Kinder und Jugendlicher eher ansprechen.
Der deutsche Evolutionspsychologe Harald Euler beschäftigt sich seit den 90er-Jahren mit diesem Phänomen. Eine Erkenntnis seiner Forschung: Bei kleinen Mädchen und Buben gibt es in der Liebe zu Pferden keinen Unterschied. Erst ab acht Jahren gehen die Präferenzen auseinander. Mit zunehmendem Alter sehen Buben das Reiten immer mehr als mädchenstereotypisch besetzt.
Das beste Kuscheltier
Euler sieht den Ursprung der Faszination Pferd bei Mädchen auch in einer veränderten Lebensweise: Wo viele früher eher ländlich und großfamiliär aufwuchsen, fanden Mädchen reichlich Gelegenheit, ihre fürsorgliche Neigung mit der Betreuung kleiner Geschwister oder der Versorgung von Tieren auszuleben.
Heute hingegen ist man großteils auf „zimmerfähige kleine Kuscheltiere, wie Hamster, Meerschweinchen und Kaninchen“angewiesen. „Aber was ist schon – aus Sicht des Mädchens – ein Hamster gegen ein Pferd?“, betont Euler. Dieses sei nun einmal das begehrteste und grandioseste Kuscheltier von allen. Nicht nur könne man ihm von seinen Sorgen, Wünsche und Nöte erzählen kann, es trage einen auch noch sicher durch die Natur.
„Auf dem Pferd fühlt man sich frei“, beschreibt es Anna. „Pferde machen mich einfach glücklich.“
Und das ist schließlich das Wichtigste.