Familienaufstellung ohne Schnitzler
Die Salzburger Festspiele bieten eine in die Gegenwart verlegte Neufassung des „Reigen“an. Das Unterfangen glückt nur bedingt
Zehn eher notdürftig aneinander geklebte Szenen von unterschiedlicher Qualität, die wenig miteinander und noch weniger mit Schnitzlers „Reigen“zu tun haben: So muss man die Premiere von „Reigen“– im Programmheft steht gewagter Weise „Nach Arthur Schnitzler“– bei den Salzburger Festspielen leider zusammenfassen.
Gespielt wurde in der glühend heißen Szene Salzburg, gezeigt wurde eine Koproduktion mit dem Schauspielhaus Zürich. Nach zweieinhalb schweißtreibenden Stunden ergriff ein Teil des ermatteten Publikums die Flucht, der andere Teil spendete müden Applaus.
Schnitzlers Original, uraufgeführt 1912, war ein ungeheurer Theaterskandal. Es geht dabei um Sex (der aber nie dargestellt wird) und in Wahrheit doch nicht. Schnitzler zeigt die Begegnungen von Menschen unterschiedlicher Gesellschaftsschichten, die unfähig sind, anders als durch schnellen, kalten Sex miteinander zu kommunizieren. In Wahrheit ist das Stück eine Familienaufstellung der Gesellschaft des frühen 20. Jahrhunderts.
Rektal-Glock
zweier Frauen: Die eine träumt davon, Kinder zu haben – die andere davon, ihre Kinder zu meucheln.
Prostata
Im fünften Dialog erleben wir ein Ehepaar, das wenig vereint, abgesehen von der Tatsache, miteinander die Pandemie überstanden zu haben. Der Wein verlangt nach einem Säureblocker für den Magen, und morgen wartet auch noch die Prostata-Untersuchung, da haben die ungelenken romantischen Übungen wenig Chancen auf Erfolg.
Das via Skype geführte Gespräch eines russischen Regimekritikers mit seinen Eltern hat mit Schnitzler gar nichts zu tun, ist aber durchaus berührend, und gibt der Inszenierung die Möglichkeit, sich aktuell zu nennen.
Sehr gelungen ist die Szene von Hengameh Yaghoobifarah: Schnitzlers Dichter ist hier eine Dichterin, die einem „süßen Mädel“sexuell hörig ist. Warum die beiden dann plötzlich in die Nazizeit versetzt werden, wenig rätselhaft.
Im nächsten Dialog setzt die Schauspielerin ihre sexuellen Reize ein, um eine Rolle zu bekommen. Das gelingt ihr nicht, und sie verzweifelt an der Tatsache, dass sie sich alt fühlt. Danach sucht und findet eine andere Schauspielerin einen Geldgeber für ein Filmprojekt.
Ausbeutung
bleibt ein
Der Geldgeber entpuppt sich in der letzten Szene als Waffenhändler und Ausbeuter eines afrikanischen Landes (eine Anspielung auf heutige Kunstsponsoren) – am Ende steht die Betriebsanleitung für eine Pistole.
Das alles – dargeboten in einer Restaurant-Szenerie – ist in Details durchaus reizvoll, aber insgesamt zu langatmig und beliebig, und ergibt vor allem kein Stück.
Das Ensemble gibt sich viel Mühe, es wäre unfair, einzelne Darsteller hervorzuheben. Wobei: Lena Schwarz und Tabita Johannes spielen schon sehr gut.
★★★★★