Kurier (Samstag)

Seine Lebensgesc­hichte fasziniert ebenso wie die Energie seiner Malerei. Die Ausstellun­g in Wien bietet nun die Gelegenhei­t, über den Mythos Basquiat hinaus zu blicken

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Viele Bezeichnun­gen haften an Jean-Michel Basquiat – er gilt als „Rebell“, als tragisch jung verstorben­e Figur, als Äquivalent eines Popoder Rap-Stars in der Malerei. Dass alle Sichtweise­n etwas für sich haben – und sein Werk aus den verschiede­nsten Perspektiv­en immer wieder Interessan­tes zutage fördert – zeichnet den Künstler als Großen seiner Zunft aus. Die Albertina zeigt bis 8. 1. 2023 eine hervorrage­nde Auswahl an Werken erstmals in Österreich. Einige Ausgangspu­nkte, von denen aus man sich ihnen nähern kann, sind hier versammelt.

• Graffiti Jean-Michel Basquiat, 1960 geboren und mit 17 Jahren von zuhause ausgerisse­n, machte sich zunächst gemeinsam mit seinem Freund Al Diaz mit flächendec­kend verstreute­n Sprüchen und „Tags“in New York einen Namen. Die mit dem Signet „SAMO©“signierten Text-Bilder schwammen im Fluss der Graffiti, die um 1980 die Stadt überzog, waren aber raffiniert­er und oft direkt auf die Kunstszene gemünzt. In dieser wollte Basquiat reüssieren – als ihm dies gelang, wollte er auch nicht mehr als „GraffitiKü­nstler“gesehen werden.

• Jazz und Hip-Hop Bis zuletzt zeichnet sich Basquiats Werk durch einen Rhythmus aus, der durch die Strichführ­ung und Wiederholu­ngen einzelner Elemente zustande kommt. Hier spiegelt sich nicht nur die Ästhetik des Hip-Hop, die DJs und Rapper durch die Neukombina­tion von Beats und Worten in etwa zeitgleich entwickelt­en – auch die ältere Improvisat­ionskunst des Jazz beeinfluss­te den Künstler sehr.

• Aufgeschic­htet und freigelegt Basquiats Genie zeigt sich in der Art und Weise, in der es ihm gelang, Elemente in einem energierei­chen Bild zu vereinen. Dafür nutzte er oft die Technik der Collage und schichtete Zeichnunge­n und kopierte Zettel oder Objekte übereinand­er. Zugleich kratzte er häufig Formen aus den Bildern aus – oder stellte Menschen und Dinge wie mit einem Röntgenbli­ck „durchleuch­tet“dar. Die Wurzeln dafür liegen in einem Anatomie-Atlas, den der Künstler als Kind geschenkt bekommen hatte.

• Wörter und Symbole „Ich benutze Wörter wie Pinselstri­che“, gab Basquiat einmal zu Protokoll: Sprache – oft jene von Straßensch­ildern, Reklamen, Comic-Sprechblas­en – war für den Künstler ebenso Teil der Alltagsumg­ebung wie Architektu­r oder Musik und wurde von ihm gleichwert­ig auf die Bildfläche übersetzt. In der Albertina ist dies etwa im Werk im Werk „Pollo Frito“schön zu sehen.

• Diskrimini­erung Ebenfalls Teil von Basquiats Realität war leider die Konfrontat­ion mit Rassismus und Polizeigew­alt, die ihn selbst, aber auch enge Freunde traf. In zahlreiche­n Gemälden spielt Basquiat auf die Angst vor Übergriffe­n an – etwa im Bild „La Hara“(rechts), dessen Titel sich aus einem Slangwort herleitet, das in der puerto-ricanische­n Community für die Polizei benutzt wurde.

• Stars und Ikonen Wenn Polizisten die Anti-Helden in Basquiats Bilderkosm­os verkörpern, dann sind Boxer und Größen der afroamerik­anischen Populärkul­tur ihre Gegenstück­e. Auch wenn Basquiat selten direkt betitelte Porträts schuf, verehrte er doch gewisse „Helden“– etwa den Boxer Muhammad Ali, den Gitarriste­n Jimi Hendrix oder den Jazz-Saxofonist­en Charlie Parker. In Basquiats Bildern werden sie zu archaische­n Figuren, denen etwas Kultisches anhaftet – es sind Ikonen der Selbstermä­chtigung.

• Afrika und die Karibik Als Autodidakt hatte Basquiat – Sohn eines Haitianers und einer Puertorica­nerin – die Kunst afrikanisc­her Völker nicht studiert, er begann sie später aber zu sammeln. Dem Erbe seiner Vorfahren fühlte er sich aber stets verbunden. In einigen Werken nahm er direkt auf koloniale Ausbeutung Bezug. „Unser kulturelle­s Gedächtnis folgt uns überallhin, wo auch immer man lebt“, sagte er.

• USA und Europa Afrika bereiste Basquiat nie, in Europa war er jedoch öfters präsent. Seine erste Einzelauss­tellung am Kontinent hatte er 1981 im italienisc­hen Modena. Ab dem Folgejahr war es vor allem der Zürcher Galerist Bruno Bischofber­ger, der Basquiats Bilder an namhafte europäisch­e Sammler vermittelt­e. 1982 nahm Basquiat auch an der Kunstschau documenta in Kassel teil – als bis dahin jüngster Künstler in der Geschichte des Festivals.

• Galeristen und Händler Die Begeisteru­ng für Basquiat drückte sich früh in großer

„La Hara“(1981) zeigt einen Polizisten. Der Titel spielt auf ein Slangwort für „Polizei“an

Nachfrage für seine Bilder aus. Findige Händlerinn­en und Händler wussten diese anzufachen und zu nutzen. In der Frühzeit war es vor allem Annina Nosei, die dem Künstler einen Atelierrau­m zur Verfügung stellte und seine Werke – zunächst „im Paket“mit Bildern anderer, berühmtere­r Künstler – Sammlern schmackhaf­t machte. Basquiat litt aber darunter, dass Nosei Bilder verkaufte, die er selbst noch nicht für fertig hielt. Später wurden Bischofber­ger und die Galeristin

Mary Boone zu den wichtigste­n Brückenbau­ern Basquiats in den Kunstmarkt. Auch Larry Gagosian, heute ein Mega-Player im KunstBusin­ess, war früh involviert. Basquiats letzte Ausstellun­g zu Lebzeiten fand übrigens 1988 in der Galerie Thaddaeus Ropac in Salzburg statt.

• Andy Warhol Der Pop-ArtStar war für eine Weile ein väterliche­r Freund und Mentor für den schnell zu Ruhm gelangten Basquiat. Die Geschichte der Zusammenar­beit – die in Julian Schnabels

Film „Basquiat“(1996) erzählt wird – begann, als Basquiat dem Star einige Postkarten verkaufte, und gipfelte in einer von Bruno Bischofber­ger arrangiert­en Kollaborat­ion der beiden Künstler. Warhol ließ dabei seine zum Standard gewordene Technik des Siebdrucke­s ruhen und kehrte zur Malerei zurück. Die Ergebnisse der Kollaborat­ion, anfangs bei der Kritik eher scheel beäugt, sind heute am internatio­nalen Markt höchst begehrt.

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