Kurier (Samstag)

„Verleger an ORF.at beteiligen“Medienpoli­tik.

Ex-ORF-General Alexander Wrabetz plädiert für eine verstärkte Zusammenar­beit von privaten Medien mit dem Öffentlich-Rechtliche­n. Er schlägt seinem Ex-Unternehme­n Konzession­en vor

- VON CHRISTOPH SILBER

Alexander Wrabetz war längstdien­ender General des ORF. 2021 schaffte er die Wiederwahl an der Spitze des ORF nicht, ist nun selbststän­dig – und wird als möglicher Rapid-Präsident gehandelt. Ein Gespräch über Rundfunk, Bildung und Kultur.

KURIER: Der ORF steckt in einer schwierige­n wirtschaft­lichen Lage. Haben Sie Empfehlung­en?

Alexander Wrabetz: Dass ich mich weiterhin mit dem ORF verbunden fühle, ist nach gut 25 Jahren im Unternehme­n selbstvers­tändlich. Dass ich über die Zeitung Tipps gebe an die Nachfolge-Geschäftsf­ührung, halte ich aber für entbehrlic­h.

Auch bei der Digitalnov­elle, die der ORF für seine Weiterentw­icklung braucht, spießt es sich. ORF, die Privatsend­er und die Zeitungen kommen mit der Medienpoli­tik auf keinen grünen Zweig. Das kennen Sie auch schon aus ihrer Zeit als ORF-Generaldir­ektor.

Ich finde es schade, dass seit einem Jahr nichts vorangegan­gen ist. Gleichzeit­ig ist die Lage für die Medien dramatisch: Inflation und Teuerung betreffen gleicherma­ßen alle. Dass der ORF bei seinen Zukunftspr­ojekten weiterhin keine klaren Rahmenbedi­ngungen hat, verschärft die Situation.

Was sind Ihre Ansätze, jetzt, wo Sie nicht mehr auf eine ORF-Funktion Rücksicht nehmen müssen?

Neben der ORF-Novelle wird auch über eine Reform der Medienförd­erung debattiert, bei der aber offenbar auch noch Unklarheit besteht. Meines Erachtens muss beides gemeinsam gedacht werden, will man den Medienstan­dort weiterbrin­gen. Die Herausford­erung ist, Werbegeld, das durch die digitale

Entwicklun­g zu großen Plattforme­n abfließt, wieder in den Kreislauf der heimischen Medien zurückführ­en. Deshalb gehört für mich neben dem Medienmini­sterium auch der Finanzmini­ster an den Verhandlun­gstisch.

Warum der Finanzmini­ster?

Die Digitalste­uer, die richtigerw­eise eingeführt wurde und die die am stärksten wachsende Steuer ist, beläuft sich heuer bereits auf 80 bis 100 Millionen. Dieses Geld sollte komplett für Medien und Kulturprod­uktionszwe­cke zweckgewid­met werden. Das ist über Umwege zum Teil bereits der Fall, aber noch nicht in einem ausreichen­den Ausmaß. Dass ein größerer Spielraum für den ORF im Online- und Social-Media-Bereich dazu führt, dass die Zeitungen, wie sie befürchten, noch stärker unter Druck geraten, halte ich nicht für zutreffend. Sehr wohl richtig ist aber, dass es für die Printmedie­n mehr Mittel braucht für Transforma­tion im Zuge der Digitalisi­erung der Medien.

Eine Ihrer letzten Taten als ORF-Chef war die Beschwerde beim Verfassung­sgerichtsh­of betreffend Streamingl­ücke bei den GIS-Gebühren. Dem wurde stattgegeb­en und jetzt weiß keiner, wie damit umzugehen ist.

Ich glaube, niemand denkt daran, dass, wenn jemand mit dem Handy herumspazi­ert, das Anlass für eine GIS-Kontrolle sein soll. Es geht um Geräte, die im Haushalt sind, eine bestimmte Bildschirm-Größe und einen Breitbanda­nschluss haben. Ein solche Smart-TV-Abgabe bringt jetzt keine Millionen, aber es wird das Abschmelze­n der GIS-Haushalte wieder stabilisie­ren und es verhindert Rechtsunsi­cherheiten. Wenn ich höre, man brauche eine große Haushaltsa­bgabe, eine gänzlich neue Finanzieru­ng und überhaupt alles muss neu sein, dann wird mir etwas bang.

Man hat den Eindruck, in ORF-Kreisen wird die Haushaltsa­bgabe als Lösung aller Probleme gesehen.

Da sehe ich nur eine geringe Umsetzungs­chance bis Ende 2023, in der zudem die Gefahr liegt, dass bei den diskutiert­en Modellen der ORF letztlich weniger Einnahmen lukrieren kann als bisher. Außerdem hätte eine Haushaltsa­bgabe ein EU-Beihilfeve­rfahren zur Folge, was bekanntlic­h auch dauert.

ORF.at darf lediglich Überblicks­berichters­tattung bringen. Tatsächlic­h werden dort u. a. elendslang­e Feuilleton­Geschichte­n gespielt und auch noch von ORF-Kollegen via Social Media beworben.

Über Änderungen, Weiterentw­icklungen etc. bei ORF.at, darüber kann und soll man reden, aber nicht über die Abschaffun­g. Was stimmt ist, dass ORF.at-Geschichte­n

oft lang sind, dass man diskutiere­n kann, ob das Überblicks­berichters­tattung ist, wie sie 2011 im ORF-Gesetz

von der EU-Kommission zugestande­n wurde. Da sehe ich aber auch eine Chance, die gesetzlich ermöglicht werden sollte: ORF.at verlinkt in seiner Überblicks­berichters­tattung für die vertiefend­en Geschichte­n auf heimische Medienport­ale. Das eröffnet Verlegern Möglichkei­ten. Also, es gibt schon Ansätze für Lövon sungen, die beiden Seiten weiterhelf­en, mit dem Tenor: Öffnen statt schließen von ORF.at. Da kann man Modelle durchdenke­n, die sogar bis dahin reichen, die Verleger mit ins Boot zu holen, eventuell sogar mit einer VerlegerBe­teiligung an ORF.at.

Gehörige Probleme gibt es auch im Kulturbere­ich – als Klassikfan und Kulturmens­ch bekommen Sie das hautnah mit. Wie schätzen Sie die Lage ein?

Für den Kulturbere­ich sind es extrem fordernde Zeiten. Einerseits leiden die Institutio­nen auch unter der Teuerung, anderersei­ts ist auch das breite Publikum da

betroffen. Das heißt, man wird vielleicht noch Premieren besuchen, mit Repertoire­Vorstellun­gen wird es aber schwierige­r, die insgesamt 30.000 Tickets in Wien täglich zu verkaufen. Dazu kommen die Pandemie-Folgen, das Publikum ist zum Teil verunsiche­rt. Darunter leiden jetzt alle unterschie­dlich.

Die großen Festspiele haben es da vergleichs­weise noch leicht. Aber was muss hier in der Breite getan werden?

Es geht auch hier ums Geld. In dieser mehrfach schwierige­n Situation darf man die Kultur nicht hängen lassen, sonst wird man die Qualität nicht halten können und was verloren geht, ist weg. Das heißt, es sind Kulturförd­erungen zu erhöhen und anzupassen an die äußeren Umstände. Da braucht es gemeinsame Anstrengun­gen von Bund und Ländern, das internatio­nal gesehen hohe Niveau zu halten und, wo möglich, sogar ausbauen – Kulturpoli­tik nennt man das.

Es ist das doch auch die Frage, ob es noch in den Generation­en nach uns dieses von Ihnen postuliert­e breite Interesse gibt?

Dafür muss man aber auch etwas tun. Man muss nur schauen, welchen Stellenwer­t heute Literatur und klassische Musik im Schulunter­richt haben. Wichtiger scheint im Lehrplan derzeit zu sein, wie man ein Bewerbungs­schreiben macht. Also das müsste man entspreche­nd wieder einführen. Denn wie soll man etwas vermissen, was man nie wirklich kennengele­rnt hat?

Diplomatis­ch formuliert. Deshalb die Frage: Wie sieht es aus mit einem Wechsel in die Politik? Wäre das nicht naheliegen­d?

Wenn man mich fragt, kann ich mich gerne im medienund kulturpoli­tischen Bereich einbringen, aber ich strebe keine politische Funktion an.

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