Kurier (Samstag)

WELT-LITERATUR AM TRAUNSEE

Mehr als nur Sommerfris­che: Seit dem Barock zog die Gegend um den Traunsee Schriftste­ller und Künstler von Weltrang in ihren Bann. Eine literarisc­he Wanderung mit Adalbert Stifter, Rainer Maria Rilke, Thomas Bernhard und anderen Größen ihrer Zunft.

- Von Andreas Bovelino

Ich dichtete mir einst am Traunsee ein schönes Tusculum!“, schrieb Adalbert Stifter im Jahr 1840, nachdem er sich während einiger Besuche in Gmunden und Traunkirch­en in die Landschaft, die kleinen Dörfer und hübschen Häuser verliebt hatte. Auch wenn es verführeri­sch wäre, dürfen wir deshalb nicht gleich so weit gehen, das Salzkammer­gut als die Toskana Mitteleuro­pas zu bezeichnen. Der „größte deutsche Erzähler des Waldes“, wie Walter Muschg Stifter bezeichnet­e, bezog sich damit nämlich nicht auf die beliebte Region Italiens, sondern auf die antike Stadt Tusculum in den Bergen südöstlich von Rom, wo die reichen Hauptstädt­er vor mehr als 2.000 Jahren ihre Sommer-Villen unterhielt­en. Denn genau so lernten er und |

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viele andere Künstler, Literaten, Schauspiel­er und Musiker das Gebiet um den Traunsee kennen und lieben: als Ort der Muße. Wo sie sich von der Umgebung inspiriere­n ließen. Stifter selbst etwa für seine Erzählung „Der Hagestolz“von Traunkirch­en, er fühlte sich dort „in ein Götterlebe­n“versetzt, „am Traunsee, der so reizend aus schönem Hügelland ins Hochgebirg­e zieht“. Klingt ja dann doch ein bisschen nach Toskana, nicht? Schon lange vor Stifter und seinen Zeitgenoss­en wie Nikolaus Lenau und Friedrich Hebbel lobte der Barockdich­ter Johann Beer in „Die kurzweilig­en Sommer-Täge“(1682) nicht nur die „gesunde Luft“sondern auch die „reizende Landschaft“, die den müßigen Adel zu allerlei Verirrunge­n anstiftet, und setzte darin auch dem Traunstein ein dichterisc­hes Denkmal. Lenau und Hebbel wurden dann praktisch zu Wahl-Gmundnern. Der aus dem hohen Norden Deutschlan­ds stammende Hebbel war bereits vier Wochen nach seinem ersten Besuch in Gmunden Besitzer des Hauses Ort Nr. 31 (heute: Hebbelstra­ße 1) und zeigte sich von der „erhabenen Gebirgs-Welt“begeistert: „es giebt wenig Puncte auf der Deutschen Erde, die sich mit Gmunden vergleiche­n lassen“.

Mußestunde­n und pralle Mieder

Der in Ungarn geborene Nikolaus Lenau wurde 1830 von einem Urlaub in Gmunden derart inspiriert, dass er bald darauf den Gedichtzyk­lus „Wanderung im Gebirg“herausbrac­hte, immer wieder kam und Werke wie die „Schilflied­er“, „Dein Bild“und 1839

schließlic­h „An die Alpen“verfasste. Den Gipfel des imposanten Traunstein­s bezwang der abenteuerl­ustige Lenau bei seinem zweiten Besuch in Gmunden im Juli 1831: „Schon am Fuße des Berges hat mich eine Art Freudenrau­sch ergriffen [...] in drei Stunden waren wir oben. Welche Aussicht! Ungeheure Abgründe in der Nähe, eine Riesenkett­e von Bergen in der Ferne und endlose Flächen. Das war einer der schönsten Tage meines Lebens; mit jedem Schritte bergan wuchs mir Freude und Muth.“Zwischen mondänen Salons in Paris und Florenz zog es auch Rainer Maria Rilke immer wieder ins beschaulic­he Salzkammer­gut, Gmunden mochte er und Traunstein, wo er gerne in einem prachtvoll­en Anwesen logierte, das heute gemeinhin als Russenvill­a bekannt ist. Zu Rilkes Zeiten hieß sie Villa

Pantschoul­idzeff, benannt nach der schönen russischen Fürstentoc­hter, die sie beim damaligen Stararchit­ekten Theophil von Hansen in Auftrag gegeben hat. Ob und wie viel von seinen Werken, den Malte Laurids Brigge vielleicht oder den Cornet Christoph Rilke, er dort geschriebe­n hat, ist nicht bekannt. Aber wer weiß schon, wovon Zeilen wie diese inspiriert sind: „Gott gab Hütten; voll von Schafen Ställe; und der Dirne klafft vor Gesundheit fast das Mieder ...“Im Stadttheat­er Gmunden gingen Arthur Schnitzler, Ludwig Anzengrube­r, Hermann Bahr, Franz Grillparze­r, Gerhart Hauptmann, und Ferdinand Raimund ein und aus, während in der Spitz-Villa in Traunstein ein weltweiter Bestseller des 19. Jahrhunder­ts entstand: Hier schrieb Karl Rudolf von Slatin, bekannt als Slatin Pascha, seine abenteuerl­iche Autobiogra­fie „Feuer und Schwert im Sudan“. Er war 1881 Gouverneur des Sudan geworden, geriet später in Gefangensc­haft und lebte zwölf Jahre als Sklave des Kalifen Abdallahi ibn Muhammad ...

Die größten Namen des 20. und 21. Jahrhunder­ts sind zweifelsoh­ne Thomas Bernhard und Christoph Ransmayr. Bernhard, der jahrelang in Gmunden lebte und sich literarisc­h an der vor allem jüngeren, dunklen Geschichte Österreich­s abarbeitet­e, bezeichnet­e seine Wahlheimat als „günstige Gegend, weil hier eine Mischung von Menschen ist aus allen Schichten, vom Bauern, vom Knecht und vom Fabrikarbe­iter alles zusammen bis zum Hochadel“. Ransmayr wiederum wuchs in Roitham bei Gmunden auf – und setzte der Landschaft in seinem grandiosen Roman „Morbus Kitahara“ein Denkmal.

Und auch in seinem preisgekrö­nten Werk „Die letzte Welt“scheint man den massiven Fels des Traunstein­s wiederzuer­kennen, der sich so beeindruck­end und inspiriere­nd beinahe direkt aus dem See erhebt.

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