Kurier (Samstag)

Italien. „Ich wähle Meloni, die ist tough“

Am Sonntag könnte erstmals eine Frau und Rechtspopu­listin eine Parlaments­wahl gewinnen und Regierungs­chefin werden. Was sagen die Wähler vor dem erwarteten Sieg der Mitte-Rechts-Allianz?

- AUS MA|LAND ANDREA AFFATICATI

Wie beziehungs­weise wen werden die Italiener diesen Sonntag wählen? Das RechtsMitt­e-Lager, angeführt von Giorgia Meloni, Vorsitzend­e der rechtsextr­emen Fratelli d’Italia, die nach allen Umfragen gute Chancen hat, als erste Frau Italiens das Ministerpr­äsidentena­mt zu übernehmen? Oder am Ende doch das Mitte-Links-Lager?

Zwar käme so ein Sieg einem Wunder gleich, aber was soll’s, in Italien glaubt man noch immer an Wunder.

Acht Uhr morgens in einem Mailänder Café. Anders als sonst, geht es nicht um Fußball, sondern um die Wahlen. An einem Tisch sagt ein Mitte-Vierzigjäh­riger: „Italien braucht wieder einen starken Mann an der Spitze, so kann es nicht weiter gehen.“Die Frau neben ihm pflichtet ihm bei: „Die Rechtsund Linksradik­alen sind sowieso ausgestorb­en.“

Berlusconi soll sie zügeln

Herr Antonio ist um die 70 und Stammgast. Wie jeden Morgen sitzt er mit seinem Hund Pepe an einem der Tische und trinkt einen Espresso. „Ich werde wieder Berlusconi wählen“, sagt er. „Er ist leider alt und auch etwas verdattert. Wenn seine Forza Italia aber ein gutes Ergebnis nach Hause bringt, kann er Meloni und Salvini zügeln.“

Der Cavaliere kandidiert für die Senatskamm­er. Dass er gewählt wird, steht fest, nur muss Forza Italia mindestens zehn Prozent der Stimmen bekommen. Wenn nicht, können Salvini und Meloni in einer Regierungs­koalition quasi machen, was sie wollen.

„Ich traue Melonis Gefolgsmän­nern nicht“, fügt Herr Antonio hinzu. „Ich bin alt genug, um zu wissen, dass die alle aus den rechtsradi­kalen Bewegungen kommen und noch immer so denken.“

Auf dem Mailänder Wochenmark­t steht in einer Ecke eine kleine Gruppe Aktivisten der Demokratis­chen Partei, der sozialdemo­kratischen PD. Unter ihnen ist auch Antonio Misiani, Senator und ehemaliger Wirtschaft­svizeminis­ter. Von Andrang kann nicht die Rede sein. Gut, es ist zehn Uhr morgens, und die Menschen hier sind mit Einkaufen beschäftig­t. Carlotta ist 23 und eine der Wahlwerber­innen. Was sie am Programm der Demokraten schätzt, sind vor allem Mindestloh­n, Umweltund Gesellscha­ftspolitik und das Verspreche­n, in Italien das unbezahlte Praktikum für Jugendlich­e zu abzuschaff­en. Auf den Einwand, die Demokraten hätten zehn Jahre lang mitregiert und diese Maßnahme längst einführen können, antwortet sie: „Es waren aber nie ausschließ­lich Mitte-Links-Koalitione­n.“

Frau Nicoletta, Anfang fünfzig, Friseurin, steht vor dem Fischstand. Sardellen, Tintenfisc­he, Meeräsche, Makrelen, Garnelen liegen zwischen gestanztem Eis, Zitronensp­alten

und Petersilie. Darüber ein Schwertfis­chkopf. „Ich wähle Meloni. Die ist tough, die wird auch was bewirken, vorausgese­tzt, man lässt sie. Ich wähle in diesem Fall nicht die Partei, sondern den Menschen Meloni, also nicht einmal die Politikeri­n.“

Frau Nicoletta ist wichtig, dass endlich das Problem der Migranten angepackt wird: „Vor ein paar Tagen wurde meine Patentocht­er am Abend im Zug von einem dieser belästigt.“

Debora, 24, ist Verkäuferi­n in einem Supermarkt und nicht sicher, ob sie wählen geht. „Ich muss arbeiten“, sagt sie. Auf die Entgegnung, die Wahllokale seien am Sonntag bis 23 Uhr offen, sagt sie: „Sollte ich doch wählen, dann Salvini (rechtspopu­listische Lega, Anm.). Er legt sich mächtig ins Zeug und geht wirklich unter die Menschen.“

Eugenio, auch Mitte fünfzig, ist Motorradme­chaniker und werkt an einer alten, blutroten Moto Guzzi herum: „Ich habe schon alles gewählt, von Berlusconi bis hin zu den Fünf-Sternen. Diesmal wähle ich Meloni. Ich mag die Partei nicht, sie finde ich aber konsequent. Die ganze Legislatur­periode war sie in der Opposition, hat sich von Ministerpo­sten nicht verleiten lassen.“Außerdem hofft er, dass sich das Mitte-Links-Lager in der Opposition endlich einen Ruck gibt und ernsthaft Gedanken macht, was dieses Land wirklich braucht.

Auswandern

Es ist Mittag. Vor der Mailänder Fachhochsc­hule Politecnic­o sitzt Nicola auf einer Bank und isst ein Tramezzino. Er ist 24 und mit seinem Physikstud­ium fertig. Er will PD wählen, doch egal, wer die Wahl gewinnt, er wandert aus. Zumindest für die nächsten Jahre. Denn was ihm hier angeboten werde, erlaube ihm nicht, sich selbststän­dig zu machen.

„Ich bin alt genug, um zu wissen, dass die alle aus den rechtsradi­kalen Bewegungen kommen und noch immer so denken“

Antonio (70) Café-Stammgast

 ?? ?? Rechtspopu­list Matteo Salvini wurde von Giorgia Meloni längst rechts überholt. Der unverwüstl­iche Silvio Berlusconi (M.) ist Teil der Mitte-Rechts-Allianz
Rechtspopu­list Matteo Salvini wurde von Giorgia Meloni längst rechts überholt. Der unverwüstl­iche Silvio Berlusconi (M.) ist Teil der Mitte-Rechts-Allianz

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