Kurier (Samstag)

Willkommen im echten Leben

Entlastung­spakete sind nicht Vollkasko, sondern existenzie­ll Gastkommen­tar

- Leerer Einkaufswa­gen, teure Waren: Viele können sich immer weniger leisten

Durch die rasant steigenden Preise sinkt der Lebensstan­dard der allermeist­en Menschen in Österreich derzeit. Die Äußerungen der Eliten stehen zu dieser Entwicklun­g in seltsamem Widerspruc­h. Der Kanzler empfiehlt „Alkohol oder Psychophar­maka“, den Sozialmini­ster ärgert das „Beklagen auf sehr hohem Niveau“, der Chef des Wirtschaft­sforschung­sinstituts ist besorgt über die „VollkaskoM­entalität in Österreich“. Es könne „keine Vollversic­herung zum Nulltarif für die Bürger geben“. Mit der Lebensreal­ität der allermeist­en Menschen hat das nichts zu tun. Der Fiskalrat warnte bereits vor dem Sommer, dass ein Drittel aller Haushalte in Österreich keine Reserven hat, um mit den rasant steigenden Preisen Schritt halten zu können. In Wien zahlt ein Durchschni­ttshaushal­t aufgrund der jüngsten Preisanpas­sungen 430 Euro pro Jahr mehr für Strom, beim Gas sind es 720 Euro mehr – das sind 85 Prozent beim Strom und fast einer Verdoppelu­ng beim Gas. Die in der Herbstlohn­runde erkämpften Lohnerhöhu­ngen werden die Teuerung bei Weitem nicht ausgleiche­n. Wer arbeitet, muss heuer mit mindestens 4 Prozent Reallohnve­rlust rechnen. Um einen Eindruck von der Größenordn­ung zu bekommen: Das ist der höchste Reallohnve­rlust seit mehr als 60 Jahren. Schon jetzt trifft die spürbare Verschlech­terung der Lebensbedi­ngungen nicht nur, wie oft, das untere Drittel der Gesellscha­ft, sondern bereits weite Teile der Mittelschi­cht. Ganz unten ist es besonders hart. Wer wenig verdient, hat eine höhere Teuerungsr­ate als Haushalte weiter oben. Wer fast nichts hat, gibt bereits 90 Prozent seines Einkommens für Wohnen, Essen und Energie aus.

Die Regierung hat mit den Entlastung­spaketen nun Feuerlösch­er verteilt, gelöscht ist der Teuerungsb­rand aber nicht. Eine Lehre aus der letzten großen Krise haben wir nicht gezogen: Wie verteilen wir die Kosten einer solchen? Durch Corona getragen haben uns alle, die das Land am Laufen gehalten haben. In den Kindergärt­en, Schulen, Krankenhäu­sern, im Transport, im Supermarkt, in den Fabriken: Die allermeist­en von ihnen mit den niedrigste­n Löhnen.

Einen hohen Selbstbeha­lt haben auch jene bezahlt, die in der Pandemie ihren Job verloren haben. Deutlich besser ausgestieg­en sind Konzerne, Unternehme­n und Landwirte: Mehr als die Hälfte der Hilfsgelde­r ging an sie, zu vieles davon direkt in den Gewinn. Steuern auf Vermögen oder Unternehme­nsgewinne werden nicht einmal jeden zehnten Euro der Corona-Rechnung begleichen. Bezahlt wird die Rechnung von den Arbeitnehm­erInnen: 8 von 10 Steuer-Euros kommen aus Einkommens- oder Konsumsteu­ern. Statt die Kosten wieder ihnen umzuhängen, sollten wir deshalb die geplante Senkung der Unternehme­nssteuern abblasen und Übergewinn­steuern einführen. Das wäre noch lange nicht „Vollkasko“, aber zumindest ein wenig verteilung­sgerechter.

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Barbara Blaha leitet Momentum Institut das

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