„Die Möhre kommt mir nicht ins Haus“
Ein Linguist über den Umgang mit österreichischem Hochdeutsch
Stefan Dollinger ist Professor für Linguistik an der University of British Columbia in Vancouver. Mit seinem Buch „Österreichisches Deutsch oder Deutsch in Österreich?“und dem Appell an die Österreicher, ihr eigenes Deutsch zu sprechen, rüttelte er voriges Jahr die Welt der Germanisten auf. Im KURIERGespräch erklärt der Oberösterreicher, warum es normal ist, wenn Jugendliche wie Deutsche sprechen, wie man mit deutschen Begriffen in der (Kinder-)Literatur umgehen sollte und spricht über den Umgang mit Dialekt.
KURIER: Wenn man Jugendlichen heute in der Straßenbahn zuhört, klingen sie wie Deutsche auf Besuch hier ... Stefan Dollinger: Ich hab als 16-Jähriger auch geklungen wie ein Hamburger und hab’s dann relativ rasch wieder umgestellt. Die Kids sind ja nicht deppert. Ausdrücke wie „Guck mal“gehen schon lange zurück, denken Sie an die Sendung „Guck mal, wer da spricht“– ich hab’ mich immer gefragt, warum es keine österreichische Version mit „Schau mal“gibt. Da darf man sich 30 Jahre später nicht wundern.
Also geht der österreichische Dialekt verloren?
Na der geht nicht verloren, er wird sogar gefeiert, auch wenn er sich natürlich verändert. Was untergeht, ist das österreichische Hochdeutsch. Wenn Germanistinnen ausgebildet werden, wissen die nichts von österreichischem Hochdeutsch. Jänner, heuer, eh – das sind alles Wörter, die es im deutschen Deutsch auch gibt, aber sie sind nicht Standard. Beim Bayer ist das Dialekt, bei uns ist es Hochsprache. Das ist das große Versäumnis der österreichischen Germanistik, dass die da nie hingeschaut haben. Die akademischen Forscher waren großteils Deutschnationale. Die wollten kein österreichisches Hochdeutsch haben.
Welchen Einfluss haben soziale Medien, deutsche Influencer?
Einen beträchtlichen. Das war bei mir vor 30 Jahren auch so, dass ich als Teenager angefangen habe zu singen und da klingt man eben wie „Die Ärzte“und nicht wie der Ambros. Das kommt dann später, wenn man gescheit ist. Weil man draufkommt, das bin nicht ich und man kann dann umstellen.
Aber durch soziale Medien unterscheidet man ja nicht mehr ...
Man versteht das österreichische Hochdeutsch ja super. Wenn ich Jänner sage und eh und heuer, oder Topfen statt Quark, dann verstehen mich die meisten – und wenn nicht, dann finden sie das schnell heraus. Aber ich zeige von mir, ich bin von da, ich bin kein Deutscher. Das ist für mich wichtig und für viele andere auch.
In den USA gab es unlängst eine Diskussion über die Kindersendung „Peppa Pig“. Da hieß es, die Kinder sprechen immer mehr britisches Englisch, weil sie so oft diese Sendung sehen. Wird unsere Sprache generell einheitlicher?
Vollkommener Schwachsinn. Nein, eben nicht. Es gibt Tendenzen, wo sich Dinge angleichen. Jetzt sagen wir öfter Tschüss statt Ciao und Baba. Vor 30 Jahren war Tschüss ja die Grenze, jetzt ist es nicht mehr so schlimm. Diese emotionalen Streitfelder verschieben sich. Aber es gibt auch Gegentendenzen, wo ich sage, kämpfen Sie für den Jänner auf Ö1 und im ORF und für heuer statt dieses Jahr – das ist nicht nur schöner, sondern auch kürzer. Dialekt hat schon einen enormen Wert.
Bei den meisten Kinderbüchern werden deutsche Begriffe verwendet. Da steht dann Möhre etc. und ich übersetze das dann beim Vorlesen.
Ja, Riesensauerei! Das mache ich auch so. Da redet man von der EU und vom Subsidiaritätsprinzip, dass die Dinge auf der lokalen Ebene entschieden werden, und bei der Sprache haben wir das noch nicht hingebracht. Das müssen wir uns leisten, dass es eine österreichische und eine deutsche Ausgabe gibt. Das gibt es in Belgien übrigens für Flämisch, für belgisches Niederländisch. Das wird auch im Fernsehen extra aufgenommen.
„Nehmts das Österreichische Wörterbuch und schickts den Duden nach Deutschland“
Wie empfehlen Sie damit umzugehen?
Genau so, wie Sie es machen. Jetzt müssen wir wursteln und es live übersetzen. Die Möhre kommt mir nicht ins Haus. Ich hoffe, die Eltern haben Kraft genug, die haben eh schon genug am Tapet. Deshalb der Appell an die Verlage: Lasst den Thomas Bernhard, denn das passiert ja schon ganz oben – nicht nur bei der Kinderliteratur. Der Bernhard musste sich mit seinen deutschen Verlagen dauernd anlegen, damit sie ihm die österreichischen Ausdrücke drinnen lassen. Und ich sag, lasst den Bernhard, die Jelinek und die Streeruwitz in Ruh, die auch klagt, weil ihr dauernd der Kübel rausgehaut wird. Wenn die berühmten Autoren kämpfen, wie viel Chance hat der junge – der traut sich ja gar nix mehr. Die Machtverhältnisse in der Sprache müssen wir entrümpeln.
Eltern,
Sollten Eltern im Alltag auch bewusster österreichischen Dialekt sprechen?
Wenn sie Dialektsprecher sind, werden sie wissen, wo es passt. Die haben schon ein Gespür dafür. Ich würde sagen, das österreichische Hochdeutsch muss man wirklich kultivieren. Nehmts das Österreichische Wörterbuch und schickts den Duden nach Deutschland.
Welchen Stellenwert hat die Schule bei der Förderung der Sprache?
Genauso, wie es neben dem kanadischen Englisch auch ein amerikanisches, schottisches und englisches Englisch gibt, gibt’s ein österreichisches, ein deutsches und ein schweizerdeutsches Deutsch. Und wenn Lehrerinnen und Lehrer das in der Ausbildung nicht mitkriegen und in der Weiterbildung in den Hochschulen großdeutsch sozialisierte Lehrerinnen haben, ist das natürlich ein Riesenproblem.
Soll die Umgangssprache in der Schule gefördert werden?
Das österreichische Hochdeutsch sollte gefördert werden und Dialekt, wo es passt. In einer kleinen Schule in Oberösterreich, wo Lehrer und Schüler sich zum Beispiel auch beim Chor treffen, wäre es ja komisch, wenn man in der Schule plötzlich konsequent nur
Hochdeutsch reden würde, aber es gehört schon dazu. Das muss man lernen und das ist eine zentrale Aufgabe der österreichischen Schule. Es gibt Kinder, die das von daheim nicht mitkriegen und mit Dialekt alleine geht’s nicht so weit. Aber wenn Hochdeutsch, dann das österreichische, und das wurde bisher leider aktiv verhindert.
Sind die Lehrbücher auch ein Problem?
Nein, die sind in Österreich verlegt und das ist ein Lichtblick, aber das Problem ist, dass die Betreuer im Ministerium da auch durch den Germanisierungsfleischwolf gegangen sind. Das ist jetzt nicht alles so schlimm, aber man muss sich rückorientieren und fragen, was wollen wir jetzt eigentlich: Wollen wir eine sprachliche Kolonie sein oder haben wir doch eine eigene sprachliche Tradition, die wir weiterführen wollen?
dann