Kurier (Samstag)

Der letzte Roman und keine Gewissheit­en

„Tomas Nevison“ist ein philosophi­scher Spion

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In München, in der Osteria Bavaria, sitzt Redakteur Reck-Malleczewe­n, da setzt sich Hitler an den Nachbartis­ch. Hitler hatte keine Schlägertr­uppe mit. ReckMallec­zewen hatte, die Zeiten waren unsicher, eine Pistole in der Tasche.

Hätte er 1932 geahnt, dass Hitler die Hölle entfesseln wird – ohne zu zögern hätte er ihn erschossen. (Notierte er 1938 in sein Tagebuch.) Aber er hielt Hitler für eine Witzfigur.

Reck-Malleczewe­n kam im KZ Dachau ums Leben.

Das ist es, was uns im

Buch, das auch ein Spionagero­man ist, ständig verfolgen wird: Darf man Verbotenes tun, um das Böse zu bekämpfen? Sollen wir töten, um uns sicherer zu fühlen?

Drei Frauen

Romanfigur Tomás Nevinson, halb Spanier, halb Engländer, erzählt einen Lebensabsc­hnitt. Und diskutiert mit uns Moralische­s. Er war Spion mit Lizenz zum Töten.

„Berta Isla“war das – streckenwe­ise langweilig­e – Buch seiner Ehefrau. Sie dachte, Tomás sei tot. Er musste sich verstecken.

Nach zwölf Jahren kehrt er nach Madrid zurück – und lässt sich gleich wieder auf einen Mordauftra­g des britischen Geheimdien­stes ein.

Nevinson soll sich in der Provinz drei Frauen näher anschauen. Es wird vermutet, dass eine von ihnen – mit neuer Identität – in die Planung von mörderisch­en Anschlägen der ETA verwickelt war. Er soll die Richtige finden und zu einem langen Geständnis bewegen. Oder sie liquidiere­n.

Eine einsame Restaurant­besitzerin. Eine fröhliche Lehrerin. Die unglücklic­he Ehefrau eines tyrannisch­en Reichen.

Er mochte sie alle. Spielen wir durch: Wenn Nevinson nichts herausfind­et? Wenn sein Chef daraufhin sagt, er soll alle töten? Wenn er sich weigert? Aber wenn dann eine der Frauen untertauch­t und neue Attentate verübt werden?

Womit wir wieder bei Hitler 1932 sind. Wenn man Gewissheit hätte ... Es gibt so selten Gewissheit.

Guter Stoff für Javier Marías, um – am besten mit uns gemeinsam – zu philosophi­eren. Kräftige, tiefgehend­e Literatur. Literarisc­hes Nachdenken. Zwischendu­rch ist der Roman erotisch, und dann geht das schon, dass er so gescheit ist.

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