Kurier (Samstag)

„Gelächter, Hoffnung und kein Herpes“Buntes Porträt einer Unterwelt, wie es sie heute nicht mehr gibt

Christoph Fritz. „Zärtlichke­it“heißt das neue und zweite Programm des jungen österreich­ischen Kabarettis­ten. Ein Gespräch über Urologen, Nähe und Vorbilder

- VON MARCO WEISE EHO

Er wird seit seinem Debütprogr­amm „Das jüngste Gesicht“als (möglicher) Nachfolger von Josef Hader gehandelt. Mit seinem neuen Programm namens „Zärtlichke­it“untermauer­t er sein Talent für schwarzen wie bitterböse­n Humor.

KURIER: „Christoph Fritz ist geil“, motivieren Sie sich in ihrem neuen Stück mantraarti­g auf der Bühne. Ganz nach dem Motto: Eine Lüge muss nur oft genug wiederholt werden, damit man sie glaubt. Oder steckt da eine andere Botschaft dahinter? Christoph Fritz: Ich glaube, man kann das auf verschiede­ne Arten lesen. Eine gewisse Kritik an übertriebe­nen Selbstopti­mierungsan­sprüchen, an denen man nur scheitern kann, ist darin jedenfalls enthalten. Man soll sich schon Ziele setzen in Bezug darauf, wer man sein will. Aber Ziele sollen auch realistisc­h sein. Deshalb lieber erstmal vornehmen, jeden Tag Zahnseide zu verwenden. Der Rest ergibt sich dann schon.

Was bedeutet für Sie „Zärtlichke­it“?

Innere und äußere Ausdrucksu­nd Erscheinun­gsformen von Nähe und Intimität. Gott, das klingt wie eine Definition aus Wikipedia (lacht).

Im Programm geht es u. a. um einen Besuch beim Urologen: Ist eine Prostataun­tersuchung auch eine Art von Zärtlichke­it?

Ich denke schon. Durch die Überwindun­g von Scham gibt man Kontrolle ab, lernt Vertrauen und lässt sich reinfallen in das wohlig-warme Nichts des Universums.

Wie würden Sie Ihren Humor beschreibe­n? Was bekommt man, wenn man einen Abend mit Ihnen auf der Bühne verbringt?

Das kann von Abend zu Abend und Publikum zu Publikum unterschie­dlich sein. Was ich erhoffe: Viel Gelächter, etwas Hoffnung und kein Herpes.

Sie fordern das Publikum, reizen es auch gerne. Haben Menschen schon Ihrer Vorstellun­g verlassen?

Manche in der Pause. Selten während der Vorstellun­g. Aber das liegt nicht zwingend daran, dass es dem Zuschauer oder der Zuschaueri­n nicht gefallen hat. Einmal haben ein paar weit vorne Sitzende die Vorstellun­g bald nach Beginn verlassen. Da habe ich mir gedacht: „Oh weh, so scheiße?“Ein Jahr später habe ich eine eMail erhalten, in der stand, dass das nicht daran gelegen ist, dass es ihnen nicht gefallen habe, sondern an einer Magenverst­immung. Ich glaube aber nicht, dass die Leute, die meine Vorstellun­gen verlassen, alle einen verstimmte­n Magen haben. Manche haben sicher auch Darmbeschw­erden.

Weil Sie mit Ihrem Humor nicht klarkommen?

Das auch.

Diesmal solle es um das „Suchen und Finden von Nähe an unverhofft­en Stellen“gehen. Welche unverhofft­en Stellen sind das?

Da möchte ich nicht zu viel verraten. Grundsätzl­ich kann man aber sagen, dass man durch humorvolle Achtsamkei­t Nähe finden kann, wo man sie manchmal nicht vermutet hat. In Humor selbst steckt ja auch eine zärtliche Freude am Leben. Ich denke, dass sich als ein roter Faden eine neue Männlichke­it durchs Programm zieht, die lernen muss, sich verletzlic­h zu machen, auch wenn Schmerzen deppert sind. Besser doppelt so oft weinen – und doppelt so viel Freude.

Das neue Programm sei eine Weiterentw­icklung Ihres Stils, wie Sie sagen. Wie würden Sie diesen

Meinen Stil würde ich als zurückgeno­mmen, lakonisch – das Wort habe ich von Ö1 gelernt – und immer ein wenig den Schalk im Nacken habend bezeichnen. Ich versuche, die Feinheiten meiner reduzierte­n Darbietung, gezielter einzusetze­n, damit zu spielen und auch ab und zu aus der statischen Rolle auszubrech­en.

Stil bezeichnen?

Wie schreiben Sie Ihrer Programme?

Ich mache mir Notizen, wenn mir etwas einfällt, von dem ich denke, es könnte Humorpoten­zial besitzen. Meistens stellt sich dann raus, dass es das nicht getan hat. Das, was übrig bleibt, spinne ich weiter und ist meistens nah bei mir.

Wie sind Sie eigentlich zum Kabarett gekommen?

Über die Macht der Selbstzwei­fel. Ich habe nie gewusst, ob ich lustig bin oder nicht und wollte es herausfind­en. Mittlerwei­le kann ich sagen: Ich weiß, dass ich lustig bin, und ich weiß auch, dass ich nicht lustig bin.

Gibt es Vorbilder?

Es gab Leute, die mein Interesse an Kabarett oder Stand-up geweckt haben – wie George Carlin, Andy Kaufman oder Louis C.K., Leute, die es am Leben halten – wie Natalie Palamides oder Hannah Gadsby, und Kolleginne­n und Kollegen, wo ich mir denke, ich möchte auch mal auf meine eigene Art so gut sein – wie Berni Wagner, Josef Jöchl oder Flüsterzwe­ieck.

Wie beurteilen Sie die österreich­ische Kabarettsz­ene? Es gibt einiges, was mir gut gefällt. In den letzten Jahren ist sie diverser geworden, was sicher kein Nachteil ist.

„Zärtlichke­it“von Christoph Fritz – Premiere am 27. 9. im Stadtsaal Wien. Termine: christophf­ritz.at

Neuerschei­nung. Es geht nicht um Pornografi­e. Zumindest nicht vordergrün­dig. Vielmehr ist das, was Clemens Marschall in seinem neuen Buch „Edition Privat – Claudias und Rudis Wien intim“zeigt, ein Blick auf eine Subkultur, auf ein Stück von Wien, das es so längst nicht mehr gibt.

Claudia und Rudi betrieben von den 1990ern bis 2010 eine der führenden Pornofilmp­roduktions­firmen Österreich­s – die Edition Privat. Heute lebt das Paar zurückgezo­gen am Stadtrand von Wien. Für Clemens Marschall (Golden Days before they End, Rokko’s Adventures) hat es erstmals seine Fotoarchiv­e geöffnet und erzählt aus seinem bizarren Nähkästche­n.

Marschall beschreibt es so: „Die beiden wollten damals keine herkömmlic­hen Sexfilme drehen, sondern wollten dorthin, wo’s interessan­t wird, wo’s ans Eingemacht­e geht, wo’s wehtut (...); wo Elizabeth T. Spira mit ihren ,Alltagsges­chichten‘ nur anstreifte; wofür Ulrich Seidl vielleicht zu intellektu­ell ist; und wozu andere Menschen keinen Zugang haben – oder haben wollen.“

Unter anderem nimmt Marschall – ein begabter Reiseleite­r für verspießer­te Großstädte­r in die Ursprüngli­chkeit der Unterwelt – seine Leser mit in Swingerlok­ale, zu Filmdrehs und den Feiern danach; zu sogenannte­n „Leck-to-Gos“und grenzwerti­gen Spielen. Wie er sagt: „Es ist ein abstruses Kaleidosko­p, das man nicht erfinden könnte: ein Auge zum Lachen, eines zum Weinen – und eines zum Zumachen. Wenn Manfred Deix Sexfilme mit John Waters in Wien gedreht hätte ...“

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