Kurier (Samstag)

„Wir verfilmen keine Wikipedia-Artikel“

Die Showrunner der deutschen Netflix-Serie im Gespräch über ihre Arbeit, TV-Soaps, schwammige Begriffe und den Realitätsc­heck zum „Tatort“

- VON NINA OBERBUCHER

Sie sind bekannt für die ClanSerie „4 Blocks“, den TechnoThri­ller „You Are Wanted“mit Matthias Schweighöf­er und die Mediensati­re „Labaule & Erben“: die Drehbuchau­toren Hanno Hackfort, Richard Kropf und Bob Konrad. Gemeinsam treten sie unter dem Namen „HaRiBo“auf, der sich aus ihren Anfangsbuc­hstaben zusammense­tzt. Ihr neuester Streich: die Netflix-Serie „Kleo“.

Darin spielt „Fack ju Göhte“-Star Jella Haase eine ehemalige Stasi-Killerin, die verraten und ins Gefängnis gesteckt wird. Als die Mauer fällt, kommt sie frei – und begibt sich in acht flotten Episoden auf blutigen Rachefeldz­ug à la „Kill Bill“.

Die Idee dazu wurde den HaRiBos in einem asiatische­n Restaurant in München mehr oder weniger serviert: „Wir haben uns mit jemandem getroffen und diese Person sagte: ,Ich schenke Ihnen eine Idee. Wie wäre es, wenn man den Graf von Monte Christo am Ende der

DDR erzählt?‘ “, erinnert sich Bob Konrad im KURIER-Gespräch. Weil der „Graf von Monte Christo“– der Rächerroma­n von Alexandre Dumas über einen zu Unrecht inhaftiert­en Seemann – aber schon mehrfach erzählt wurde, wurde daraus eine Gräfin. Der mysteriöse Ideengeber ist übrigens Produzent Jan Mojto von der Beta Film, wie das Trio verrät. „Schöner wäre es natürlich, wenn wir sagen würden, das war der Kellner des Restaurant­s“, gibt Richard Kropf lachend zu.

Stillstand

Kennengele­rnt haben sich die drei deutschen Autoren bei einer genretechn­isch gänzlich anders verorteten Produktion: bei der täglichen

TV-Soap „Anna und die Liebe“. Die Arbeit sei im Kern aber relativ ähnlich. „Wir empfehlen auch Autoren, die in die Fernsehwel­t wollen, bei der Soap anzufangen. Da lernt man das Handwerk und vor allem lernt man, unter Druck zu arbeiten. Wenn du dein Skript nicht um 18 Uhr lieferst, steht alles still“, so Kropf. „Von diesem Teamwork, das damals entstanden ist, zehren wir bis heute.“

Nach mehreren gemeinsame­n Drehbücher­n waren HaRiBo nun bei „Kleo“erstmals auch Showrunner einer Serie. „Es ist komplett anders, weil man die letzte kreative Instanz ist, die am Ende des Tages die Entscheidu­ng zu treffen hat“, erklärt Hanno Hackfort. Das Konzept

des Showrunner­s stammt aus den USA, Netflix arbeite durchgängi­g nach diesem Prinzip.

Life Coach

Von der Wahl der Regie (Viviane Andereggen und Jano Ben Chaabane) über das Casting bis zum Color-Grading habe man das gemacht, was sonst Regisseuri­n oder Regisseur übernimmt. „Showrunner“sei „ein bisschen ein schwammige­r Begriff“, den jeder anders interpreti­ere, räumt Hackfort ein – „wie Life Coach“. „Wir finden, man ist Showrunner, wenn man von vorne bis hinten daran gearbeitet hat.“

Und was hat nun der Reiz an „Kleo“ausgemacht? „Man schaut immer, dass man sich in dem, was man tut, nicht wiederholt. Diese Kombinatio­n aus Rache- und Profikille­rgeschicht­e ist in Deutschlan­d wahnsinnig schwer zu erzählen. Aber hier bot sich plötzlich ein Zeitfenste­r, etwas Originäres innerhalb dieses Genres zu machen, ohne dass es unglaubwür­dig wirkte“, meint Hackfort.

Warum das Genre gerade in Deutschlan­d schwer funktionie­rt? Die Fiktion sei dort sehr nah an der Wirklichke­it. „Jeden Sonntag nach dem ,Tatort‘ steht im Spiegel der Realitätsc­heck: ,Wie realistisc­h war der Sonnenener­gieTatort?‘ Wenn das in den USA, in England oder Asien erzählt wird, dann wird es akzeptiert. Aber im eigenen Land nicht. Dann heißt es: ,Das ist Quatsch, das gab es nicht‘ “, ergänzt Konrad.

Dabei sei gerade der größte Spaß an der Arbeit, bei der Recherche auf Dinge zu stoßen, die die eigene Fantasie anregen, findet Kropf: „Wir verfilmen keine Wikipedia-Artikel.“

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