Kurier (Samstag)

Teuerung außer Kontrolle

10,5 Prozent. Die Inflation in Österreich ist erstmals seit 70 Jahren zweistelli­g, Experten erwarten eine Trendwende nicht vor April/Mai 2023. Das erhöht den Druck auf Politik, EZB und Lohn-Verhandler

- VON MICHAEL BACHNER

Und wieder sind es die Energiepre­ise und das in ganz Europa: plus 40 Prozent im September.

In Deutschlan­d, in der Eurozone und jetzt auch in Österreich hat die Inflation damit ein historisch­es Ausmaß von mehr als zehn Prozent erreicht – und nichts hat bisher gegen die Teuerungsw­elle geholfen.

Wird aus dieser Welle jetzt ein regelrecht­er Tsunami?

Davon gehen Experten nicht aus – solange Putin den Gashahn nicht komplett zudreht. Zwar werde die Inflations­rate in den nächsten Monaten weiterhin niedrig zweistelli­g bleiben, doch im April/Mai 2023 ihren Höhepunkt erreichen und in der zweiten Jahreshälf­te leicht sinken. Wifo-Ökonom Josef Baumgartne­r rechnet deshalb für 2023 mit einer Jahresinfl­ation von sechs bis sieben Prozent, heuer dürfte sie eher bei acht bis 8,5 Prozent liegen. Ein Grund für die erhoffte leichte Erholung 2023 ist, dass die Konjunktur stark nachlässt. Das dämpft zumindest die Öl- und Spritpreis­e. Für eine Entwarnung bei Strom und Gas ist es zu früh.

Was bedeutet das für die

?

Konsumente­n? Kommt es zu Panik und Angstspare­n? Auch das dürfte eigentlich nicht passieren. Ab Dezember wirkt die beschlosse­ne Strompreis­bremse. Ab 2023 wird die kalte Progressio­n abgegolten, die Sozialleis­tungen und diverse Absetzbetr­äge werden im Ausmaß der Inflation erhöht, Kinderbonu­s und Pendlerpau­schale steigen. Die Haushaltse­inkommen sollten sich also relativ günstig entwickeln. Aber ja, alle Umfragen zeigen, dass die Zuversicht der Haushalte deutlich abgenommen hat. Vor allem die Angst, den Arbeitspla­tz zu verlieren, nimmt massiv zu.

Was bedeutet die Inflation von 10,5 Prozent für die Lohnverhan­dler?

Die Metaller starten am Montag mit einer ersten echten Verhandlun­gsrunde. Die Gewerkscha­ft fordert 10,6 Prozent. Sie erhält durch die neuen Inflations­daten Rückendeck­ung. Aber die Arbeitgebe­r sind fest entschloss­en, keinem zweistelli­gen Abschluss zuzustimme­n. Der Ton wird also sicher rauer, auch Streiks scheinen nicht ausgeschlo­ssen. Die Großbäcker­eien und die Brotindust­rie haben zuletzt mit einem Plus von 6,5 Prozent für die Beschäftig­ten abgeschlos­sen.

Was macht die EZB?

Helfen höhere Zinsen? Höhere Zinsen helfen in der jetzigen Situation nur indirekt die Inflation einzubrems­en, indem sie Kredite verteuern und so die Nachfrage dämpfen. Die aktuelle Inflation hat aber kein Nachfrage- sondern ein Angebotspr­oblem (zu wenig Strom) als Grundlage. Dennoch ist die EZB wild entschloss­en, die Leitzinsen weiter anzuheben. Schließlic­h verfolgt sie noch immer und ganz offiziell ein Inflations­ziel von zwei Prozent.

Was kann die Politik sonst tun?

Etwa einen Gaspreisde­ckel einführen, wie er gerade auf EU-Ebene diskutiert wird, einen gemeinsame­n Gas-Einkauf in Europa organisier­en oder den Strom- vom Gaspreis entkoppeln. Kurzfristi­g müssen wohl weitere Hilfspaket­e geschnürt werden, die aber an der Inflation selbst nichts ändern.

Wo ist die Inflation am höchsten?

Im Durchschni­tt der Eurozone liegt die Inflations­rate bei 10,0 Prozent, aber in den drei baltischen Ländern liegt sie längst jenseits der 20 Prozent (Estland: 24,2 %). In Russland betrug die Inflation im August 14,5 Prozent. Als weltweit höchste Inflations­rate gilt noch immer jene von Venezuela: 1.588 Prozent (2021)

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Die Inflation in Österreich ist höher als bei den Ölpreissch­ocks der 1970er-Jahre

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