„Ohne Betreuerinnen schaffen wir es nicht“
WLebensgeschichte. Ein Angehöriger erzählt über 30 Jahre Betreuung seiner kranken Ehefrau
er seine kranke Ehefrau über 30 Jahre pflegt, weiß genau, wo es im Gesundheitsund Sozialsystem krankt. Bei Alfred Schöfberger, heute im 82. Lebensjahr, schlug das Schicksal vor 30 Jahren erbarmungslos zu. Aber für ihn ist es präsent, als wäre es erst gestern gewesen. An jedes Detail kann er sich erinnern. „Es war der 15. Jänner 1992. Meine Frau und ich waren im Winterurlaub. Anneliese ist aus der Dusche gestiegen und umgefallen, nicht ausgerutscht. Wie vom Schlag getroffen ist sie umgefallen“, schildert Schöfberger den Beginn des Leidensweges seiner Frau. Die Ursache des Schlaganfalls konnte nie wirklich festgestellt werden, aber umso dramatischer waren die Folgen. Vom Bezirksspital am Urlaubsort ging es nach Wien in mehrere Krankenhäuser, und irgendwann auch einmal zur Rehabilitation in die Schweiz. Seitdem sind er und seine Frau auf finanzielle Unterstützung durch den Staat angewiesen. „Wir mussten leider bald feststellen, dass eine wirkliche Gesundung meiner Frau nicht möglich war. Besonders betroffen ist – neben der Beweglichkeit aller Gliedmaßen – das Sprachzentrum. Meine Frau kann seitdem nicht mehr artikulieren. Seit drei Jahren wird sie wegen Schluckstörungen künstlich über eine Magensonde ernährt“, schildert Schöfberger die Beeinträchtigungen. Seit 30 Jahren pflegt er seine Frau, ging sogar zwei Jahre früher in Pension, um dem stetig steigenden Aufwand zeitlich gewachsen zu sein.
24-Stunden-Betreuung in Gefahr
Vor acht Jahren schaffte er – bereits 74 Jahre alt – die Betreuung seiner Frau nicht mehr alleine. „Ich habe durch Mundpropaganda von der Möglichkeit der 24-Stunden-Betreuung gehört, und so bin ich auch zu unseren Betreuerinnen gekommen“, erinnert er sich. Beide Betreuerinnen, Ula und Greta, kommen aus Polen und wechseln einander alle 14 Tage ab, während sie bei der Familie wohnen. Betreuerin
Greta gehört seit drei Jahren zur Familie, ihre Kollegin Ula betreut Anneliese Schöfberger bereits seit dem Jahr 2014. „Ohne die zwei Betreuerinnen hätte ich meine Frau ins Heim geben müssen. Ich selbst war alleine dazu nicht mehr in der Lage. Das Herausheben aus dem Bett oder das Setzen in den Rollstuhl hab’ ich nicht mehr geschafft“, beschreibt Schöfberger
die damalige Notsituation. Was seit 2014 nun dank der Hilfe der Betreuerinnen gut funktioniert, sieht Schöfberger aber jetzt gefährdet. „Es ist, wie so vieles im Leben, eine Frage des Geldes. Leider sind wir dem Staat nicht allzu viel wert. Im Zuge der Pflegereform und Pflegemilliarde wurde die 24-Stunden-Betreuung nicht einmal erwähnt. Mir und vielen tausenden anderen Familien droht das Geld auszugehen, mit dem ich die Kosten der Betreuerinnen decke“, fürchtet sich Schöfberger vor der Zukunft.
Finanziell am Limit
Dabei haben er und seine Frau bereits ein großes Opfer gebracht. Sie haben ihr Lebenswerk – das über viele Jahre hinweg errichtete und ausgebaute Wohnhaus – verkauft und sich aus dem Erlös eine Wohnung zugelegt. Mit dem Rest des Verkaufserlöses werden monatlich mindestens 1.500 Euro fürs tägliche Leben aufgewendet. Schöfberger, der gelernter zahlenaffiner Glasfasertechniker ist, rechnet penibel vor: „Für die beiden Betreuerinnen haben wir jeden Monat Ausgaben von 3.050 Euro – für Honorare und Fahrtgeld. Dem gegenüber stehen 4.150 Euro, die aus meiner ASVG-Pension, dem Pflegegeld und der Förderung der 24-Stunden-Betreuung bestehen. Es bleiben also nur 1.100 Euro für einen drei-köpfigen Haushalt für Lebensmittel, Hygieneartikel, Energie, Kleidung, etc. Deshalb zahle ich jeden Monat mindestens 1.500 Euro aus dem Hausverkauf zu. So kommen meine Frau, die Betreuerin und ich mit ca. 2.600 Euro über die Runden. Wenig, wenn man daran denkt, dass die Mindestsicherung pro Person bei rund 980 Euro liegt“. Was Schöfberger und mit ihm viele Betreute und deren Familien trifft, ist das, so Schöfberger, offenbar mangelnde Interesse der Politik. Während viele dort von der Pflegereform sprechen, ist die Betreuung durch 24Stunden-Kräfte kein Thema. Die staatliche Förderung, die seit 2007 für Betreuung ausbezahlt wird, beträgt nur 550 Euro und wurde in den vergangenen 15 Jahren nie erhöht.
Inflation jetzt abgelten
„Nicht einmal die Inflation wurde mit einer Anpassung abgegolten“, klagt Schöfberger. Dabei, so erklärt er, ist die 24-Stunden-Betreuung eine tragende Säule unseres Sozialstaates. Fast 40.000 betreute Menschen und deren Familien bauen ihr Leben auf diese Unterstützung. Aber das System steht insbesondere wegen der aktuellen Entwicklung der Preise für Energie und Lebensmittel usw. vor dem Zusammenbruch. Viele Familien werden sich die BetreuerInnen nicht mehr leisten können. Dabei gibt es für diese Familien gar keine Alternativen – denn Heimplätze sind rar und noch teurer als die 24Stunden-Betreuung, und auch die mobilen Dienste klagen über eklatanten Personalmangel.
Qualität sollte etwas wert sein
Für Schöfberger, der über die Jahre zu einem Experten der 24-Stunden-Betreuung geworden ist, sind die Lösungen klar: „Zum einen muss die staatliche Förderung von 550 Euro auf zumindest 700 Euro angehoben werden. Dann muss diese Förderung jährlich und nicht nur alle 15 Jahre der Inflation angepasst werden. Und das Pflegegeld gilt es über alle Stufen um 25 bis 30 Prozent anzuheben“. Doch damit ist Schöfberger noch nicht am Ende seiner Reformvorschläge. Seiner Meinung nach sollen Vermittlungs-Agenturen, sobald sie das ÖQZ-24 Zertifikat erworben haben, einen Qualitätsbonus ausbezahlt bekommen, „denn Qualität wird von der Politik sogar im Regierungspapier gefordert, dann muss sie aber auch etwas wert sein“. „Ich bin Sozialminister Rauch wirklich dankbar, dass er die Pflegereform nun endlich angeht. Aber die 24-Stunden-Betreuung ist da bisher noch nicht berücksichtigt. Aus der Pflegemilliarde gibt es – zumindest bis jetzt – kein Geld. So werden die BetreuerInnen links liegen gelassen. Und mit ihnen alle, die die Betreuung notwendig haben für ein Leben in Würde in den eigenen vier Wänden. Wenn uns das Geld ausgeht, was ist dann mit Anneliese und den vielen anderen alten, kranken Menschen, die es ohne 24-Stunden-BetreuerInnen, wie unsere Greta und Ula, nicht schaffen“?