Kurier (Samstag)

FABELHAFTE welt

- Vea.kaiser@kurier.at

Vea Kaiser

eine Mutter legte großen Wert darauf, dass wir mit Essen sorgsam umgingen. In meiner Kindheit erklang der Refrain: „Mit Essen spielt man nicht.“Wenn ich mir die Wertschätz­ung ansehe, die mein Bruder und ich Nahrungsmi­tteln gegenüberb­ringen, stelle ich fest, dass sie das gut gemacht hat. Ich versuche deshalb, mir als Mama ein Beispiel an meiner eigenen zu nehmen.

Doch meine Mutter WAR mal meine Mutter. Mittlerwei­le ist sie die Oma meines Kindes. Meine Mutter achtete penibel darauf, dass wir nur mit einem saubren Löffel ins Marmeladen­glas tauchen. Die Oma meines Sohnes nimmt seinen Zeigefinge­r und steckt ihn tief in die einkochten Marillen: „Und jetzt abschlecke­n!“Meine Mutter schimpfte uns, wenn wir unsere Kleidung absichtlic­h dreckig machten. Die Oma meines Sohnes lässt ihn ohne Lätzchen essen: „Mit so einem Klumpert um den Hals kann man ja nicht schlucken.“Meine Mutter erlaubte uns erst aufzustehe­n, wenn wir aufgegesse­n hatten. |

Mfreizeit.at

Die Oma meines Sohnes läuft ihm mit dem Teller hinterher, auf dass er essen kann, wann und wo ihm beliebt: „Wir haben heute keine Zeit zum Sitzen, wir müssen so viel spielen.“Meine Mutter diskutiert­e nicht mit uns über den Speisenpla­n: „Gegessen wird, was auf den Teller kommt.“Die Oma meines Sohnes offeriert allzeit Alternativ­en: „Schmeckt dir das fade Gemüseriso­tto von deiner Mama nicht? Na komm Zwutschger­l, die Oma macht dir einen Milchreis mit Kakao!“

Ich beobachtet­e dies, schwankend zwischen Ungläubigk­eit und Entsetzen. Bis mich mein Mann an den Spruch auf dem Frühstücks­häferl erinnerte, das ich meiner Mutter zu Weihnachte­n schenkte: Nur die besten Mütter werden zur Oma befördert. Beförderun­gen sind in der Regel mit einer Lohnerhöhu­ng verbunden. Die Be-Lohn-ung meiner Mutter, zwei Kinder gut erzogen zu haben: Das Enkelkind nun uneingesch­ränkt verwöhnen zu dürfen.

Newspapers in German

Newspapers from Austria