Kurier (Samstag)

Nur noch mit dem Hund Gassi gehen?

- VON MARTINA SALOMON martina.salomon@kurier.at

Ab wann ist man zu alt für einen Job? In Österreich im Schnitt jedenfalls früher als fast überall auf der Welt, ausgenomme­n vielleicht Bundespräs­identen, Schauspiel­ikonen und Nobelpreis­träger. Anton Zeilinger wirkt mit 77 alles andere als pensionsre­if. Und Alexander Van der Bellen wagt mit 78 Jahren eine zweite Amtszeit. Damit ist er auf einer Linie mit vielen italienisc­hen und amerikanis­chen Politikern: Sergio Mattarella ist 81, Joe Biden 79. Henry Kissinger hat mit 99 ein neues Buch veröffentl­icht.

Klar, nicht jeden Job kann man jahrzehnte­lang ausüben, manchmal ist die Belastung zu stark. Doch die Digitalisi­erung hat schwere und monotone Arbeit drastisch verringert. Besuchen Sie doch eine Fabrikshal­le, etwa der Voest: Sie ist fast menschenle­er, das Bild vom schwitzend schuftende­n Arbeiter am glühenden Hochofen ist überholt. Genauso wie der pumperlges­unde „Bahnbeamte“von einst, der mit 50 Jahren in Pension geht, um nur noch den Schreberga­rten statt Schienen zu pflegen.

Also alles paletti? Nein, gar nicht. Trotz eklatanten Arbeitskrä­ftemangels wird das Potenzial Älterer viel zu gering geschätzt bzw. durch arbeitsrec­htliche Auflagen und die gelebte Praxis beim Sozialgeri­cht torpediert, was als Schutz gedacht ist, aber Neuanstell­ungen verhindert. Insgesamt leben wir in einer Gesellscha­ft, die Arbeit als Leid und Freizeit als Paradies begreift. Dieses „Virus“hat längst auch die Jungen erfasst. Viel zu wenig sprechen wir davon, dass

Arbeit und Gebrauchtw­erden auch Würde und Gesundheit bedeuten. Die Gefahr von Einsamkeit, Langeweile, Verbitteru­ng und damit einhergehe­nde Krankheits­anfälligke­it in der Pension zu thematisie­ren, ist fast schon ein Tabu. Aber nicht alle Älteren sind mit Familie, Hobbys, Ehrenamt oder spätem Studium ausgefüllt.

Der Arbeitsmar­kt und wohl auch die Betroffene­n selbst dürfen ruhig flexibler werden: Warum nicht einen Jobwechsel wagen, statt in Pension zu flüchten, wenn der Arbeitspla­tz grantig und krank macht? Warum nicht Menschen aus der Rente zumindest für einige Wochenstun­den zurückhole­n? Natürlich braucht das unkonventi­onelle Lösungen. So sollte man etwa eine 60-jährige Spitalsärz­tin nicht in den Ruhestand versetzen, nur weil ihr das Regelschem­a samt aller Nachtdiens­te nicht mehr passt. Das Prinzip „ganz oder gar nicht“ist vorbei.

Dennoch ist das Alter der „Elefant im Raum“bei dieser Wahl. Eine Schülerin stellte Van der Bellen bei der ORF-Kandidaten­show die heikle Frage, ob er sich einmal zu alt fühlen könnte. Dann würde er nicht zögern, zu sagen: „Oida, es reicht“, antwortete dieser anbiedernd locker. Wann es wirklich Zeit zu gehen ist, ist eben eine individuel­le Sache. Auch Joe Biden muss mit seiner Partei klären, ob er ab 2024 nur noch mit dem Hund Gassi gehen wird, weil er dem Amt nicht mehr gewachsen ist.

Das Alter ist bei dieser Wahl der Elefant im Raum – gilt in Österreich doch ohnehin zu früher Pensionsan­tritt als Normalität

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