Kurier (Samstag)

19 Grad: Die neue Frische

Niedrigere Raumtemper­aturen werden heiß diskutiert. Aber wie fühlt sich das an? Ein Wohnberich­t aus kühlen Tagen

- VON SANDRA BAIERL

19. Die Zahl hat mehr Bedeutung bekommen. Es sind jene Grad Celsius, auf die man sich verständig­t hat, um das Energiespa­rziel zu erreichen. Neunzehn Grad sind zum Symbol geworden für weniger Gas- und Stromverbr­auch, für Einsparung­en und Verzicht, für den bevorstehe­nden Winter und die Energiekri­se. Und tatsächlic­h sind neunzehn Grad Celsius eine durchaus ambitionie­rte Vorgabe. Ich kann das sagen, weil wir uns seit zwei Wochen in unserer Wohnung leicht oberhalb dieses Werts bewegen. Und bewusst die Heizung nicht aufdrehen, Gas und Strom sparen, obwohl es eigentlich Zeit fürs Heizen wäre.

Aber um vorweg gleich zu relativier­en: 19,5 Grad, wie wir sie aktuell haben, sind weit weg von Leid oder größeren Entbehrung­en. Sie sind einfach nur unkomod. Nicht kuschelig. Vor allem abends umschmeich­elt uns eine ungewohnte Kühle, die nicht auffällt, wenn man aktiv ist, aber umso mehr, wenn man gemütlich sitzt.

Die Autorin erprobt das Wohnen bei 19,5 Grad: Nicht weiter schlimm und natürlich auszuhalte­n – aber weit weg von gemütlich

Am Waldrand

Unsere Situation: große Wohnung für fünf, Hund, die Lage ist exponiert am Rand des Wienerwald­s. Bei uns ist es im Sommer immer etwas kühler als in der Stadt und im Winter frostiger. Vor allem abends zieht vom Berg die Frische herein. Und genau diese Frische macht’s jetzt frischer. Zudem hat die Wohnung drei Außenseite­n und große Glasfronte­n. Das Thermomete­r in den Wohnräumen bewegt sich zwischen 19,5 und 20,5 Grad und damit außerhalb unserer Superkomfo­rtzone. Alles gut auszuhalte­n, wenn man Fellpatsch­en und Pullover trägt. Aber eben nicht besonders angenehm.

Unsere Erfahrung hat uns gelehrt: Leben macht’s wärmer. Also Daheimsein, Kochen, Lichter, Haare föhnen und Fernseher andrehen bringen relativ schnell ein Grad mehr in die Wohnung. Ein Vollbad (böse!) lässt das Badezimmer zur Kuschelzon­e werden. Kerzen hingegen tragen leider nur wenig zur Raumtemper­atur bei, schaffen aber immerhin eine heimelige Atmosphäre.

Neulich fragt ein Kollege, warum wir denn nicht heizen, wo wir uns doch unwohl fühlen? Ich meine, es geht um das große Ganze, um den gesellscha­ftlichen Beitrag in außergewöh­nlichen Zeiten. Muss aber gleichzeit­ig zugeben, dass unser GasAbrechn­ungssystem

nicht gerade ermunternd auf die Kasteiung wirkt. Die Heizrechnu­ng spiegelt nämlich nicht unseren individuel­len Verbrauch wider, sondern der gesamte Hausverbra­uch wird auf die jeweilige Wohnfläche aufgeteilt. Würden also die Nachbarn drauf pfeifen, hätten unsere Bemühungen in der Gesamtheit wenig Wirkung. Ein verwerflic­her Gedanke.

Die Heizungen bleiben noch aus, unsere neue Untergrenz­e ist 19 Grad Celsius

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