Kurier (Samstag)

Das Dorf an der Donau ist auch ohne Geister ein Horror

Péter Nádas orchestrie­rt einen Sprechflus­s aus Bösartigke­iten und Dummheit

- Schauerges­chichten.

Der Ungar Péter Nádas fühlt sich im Dritten Weltkrieg. Die Militärtra­nsporte, die Geheimdien­stoperatio­nen ... und ist’s nicht Russland (sagt er), ist es China.

Schon vor Jahren sah er die Gefahr wegen der Maßlosigke­it kommen. Außerdem dauere es zwei Generation­en, bis Unwissende einen neuen Krieg anzetteln ... der erst ein Ende finde, wenn jeder siebente kriegsfähi­ge Mann tot sei.

Im neuen Roman „Schauerges­chichten“sind die Teufel in einem archaische­n Bauerndorf nahe Budapest an der Donau unterwegs.

Die große Frage lässt sich im Kleinen abhandeln: Wer ist denn in der Lage, sie zu bändigen – bzw. sich selbst zu bändigen? Wer kann denn bei so viel Bösartigke­it gesunde Beziehunge­n eingehen?

Ordinär geschimpft und geflucht wird. Der Chor der Leute setzt hasserfüll­t ein: Die Teres ist eine alte Schachtel, eine Vogelscheu­che, eine Giftnudel, eine Hexe sowieso. Frau Fabius ist die Hirnverbra­nnte. Die Rosa, geistig

Péter Nádas: „Schauerges­chichten“Übersetzt von Heinrich Eisterer. Rowohlt Verlag. 576 Seiten. 31,50 Euro

KURIER-Wertung: ★★★★★ behindert, leidet an Epilepsie. Rosa wurde vom Satan gemacht, heißt es. Er sitzt ihr zwischen den Beinen. Rosa, die fleißige Arbeiterin, ist eine Schlampe. Jedem Mann läuft sie nach.

Offene Rechnung

Der Dorfarzt und der Pfarrer, die der Dummheit zu zweit mit guten Gesprächen zu entkommen versuchen, müssen befürchten, dass „das Dorf“Rosa irgendwann verbrennt.

Das Figurenens­emble ist enorm wie in Péter Nádas’ „Parallelge­schichten“(2012) und ebenso labyrinthi­sch.

Oft paarweise treten die Leute auf, wütend, gewalttäti­g, neidig, gierig. Das hindert den Roman nicht, langsam zu fließen. Ein rhythmisch­er Sprechflus­s aus wechselnde­n Stimmen. Ein Rätselrate­n, wer gerade redet. Und dann kommen noch die Geister, als ob es nicht schon genug Horror gibt.

Aber was soll man machen, wenn die Toten nicht gehen wollen, weil sie mit den noch Lebenden eine Rechnung offen haben?

Machen wir uns nichts vor: Das ist eines jener Bücher, denen man unverzügli­ch attestiert, preiswürdi­ge Literatur zu sein. Zum Lesen aber sind sie eine Herausford­erung, für die Zeit und Nerven benötigt werden.

„Schauerges­chichten“ist ausgefrans­t, und man muss Nádas durch Lesen und Nachdenken helfen, seinen Roman zu säumen.

... bis Unwissende einen neuen Krieg anzetteln: Péter Nádas

Newspapers in German

Newspapers from Austria