Kurier (Samstag)

Vom Geächteten zur historisch­en Figur

Xi Jinping. Ab Sonntag wird der Präsident von der Partei in eine dritte Amtszeit gewählt und steigt zum mächtigste­n Chinesen seit Mao Zedong auf. Seine harte Jugend formte ihn einst zum Machtmensc­hen

- VON JOHANNES ARENDS

Jeden Morgen stieg der junge Xi Jinping aus einer Höhle am Rande des Dorfes Liangjiahe empor, um bei der Feldarbeit zum Mann zu reifen. So beschreibt die staatliche Propaganda die sieben Jahre, die der heutige Präsident einst im chinesisch­en Hinterland verbracht hatte. Diese Zeit habe ihn zu einem „Mann des Volkes“geformt, heißt es – auch Xi selbst bezeichnet sie als prägende Episode seines Lebens. Mindestens genauso prägend dürften die Umstände gewesen sein, die ihn damals erst in den kargen Norden Chinas geführt hatten.

Xi kam einst als sogenannte­r „Prinzling“auf die Welt. So werden die Nachkommen der ersten kommunisti­schen Führungsri­ege in China genannt. Sein Vater, Xi Zhongxun, kämpfte im Bürgerkrie­g an der Seite Mao Zedongs und stieg in den ersten Jahren der Volksrepub­lik bis zum stellvertr­etenden Ministerpr­äsidenten auf. Gemeinsam mit dem Rest der Partei-Elite lebte die Familie abgeschott­et im Zentrum Pekings.

Doch kurz vor der Kulturrevo­lution – einer Phase, in der Mao in jedem Winkel der Partei Verräter wähnte und gegen die Oberschich­t im eigenen Land vorging – fiel Xis Vater beim Staatsgrün­der in Ungnade. Mao schloss ihn aus der Partei aus und setzte ihn drei Jahre lang unter Hausarrest.

Von der Partei geächtet

Von einem Tag auf den anderen galt die Familie als geächtet. Jahrzehnte später erzählte Xi Jinping in einer TV-Dokumentat­ion davon, dass er gemeinsam mit seinen Geschwiste­rn von der „Roten Garde“, wie Maos Bürgerwehr­en genannt wurden, in einem Hinterhof zusammenge­trieben und mit Steinen beworfen wurde. Selbst die eigene Mutter wurde gezwungen, mitzumache­n. Xis ältere Schwester nahm sich daraufhin das Leben.

Als der Vater 1965 in ein Arbeitslag­er verlegt wurde, musste Xi Jinping, wie damals alle „Prinzlinge“, auf Maos Befehl hin alleine auf das Land ziehen. Bei einer Bauernfami­lie sollte der Fünfzehnjä­hrige so einen Einblick in das Leben des Proletaria­ts bekommen.

Macht steht über allem

In Liangjiahe erzählt heute ein Museum von Xis prägenden Erfahrunge­n auf dem Land. Dass Xi sich trotz der Demütigung­en seiner Kindheit nicht wie andere „Prinzlinge“von der Partei abwandte und sofort nach Maos Tod ins Ausland floh, führen Beobachter wie Sue-Lin Wong, China-Korrespond­entin des Economist, auf die Lektionen zurück, die Xi aus seiner Kindheit in Peking zog. Der tiefe Fall seines Vaters habe ihn gelehrt, welche Folgen der Verlust von Macht im kommunisti­schen China nach sich ziehen könne. Und dass in diesem System nur gefahrlos lebt, wer selbst an der Spitze steht.

In den folgenden Jahrzehnte­n als Parteifunk­tionär blieb Xi unscheinba­r, aber eisern auf Linie. Dass er 2008 überrasche­nd zum Vizepräsid­enten und damit designiert­en Nachfolger von Präsident Hu Jintao ernannt wurde, lag auch daran, dass er keinem der beiden rivalisier­enden Parteiflüg­el angehörte.

Die Lektionen seiner Jugend wurden erst mit dem Beginn seiner Herrschaft endgültig sichtbar. Dem Aufstieg Chinas zur Weltmacht Nummer eins ordnet Xi seit zehn Jahren alles andere unter. Seinen eigenen Platz an der Spitze zementiert­e er spätestens, seit er 2019 die Amtszeitbe­schränkung für Präsidente­n aufheben ließ. Ab dem kommenden Sonntag, wenn in Peking der 20. kommunisti­sche Parteitag beginnt und Xi als erster Parteichef seit Mao in eine dritte Amtszeit gewählt wird, ist ihm auch einen Platz in den Geschichts­büchern sicher.

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