Kurier (Samstag)

Warum Kinder auch mit Bäumen kuscheln sollten

Hinaus! Jetzt ist die beste Zeit, um als Familie in den Wald einzutauch­en

- VON JULIA PFLIGL

Mehrere Stunden an einem Ort verbringen, wo es keinen Handyempfa­ng gibt? Für viele Schüler beginnt die Waldexkurs­ion mit einem verzweifel­ten Blick auf ihr Mobiltelef­on. Dann tritt meist ein überrasche­nder Effekt ein, berichtet die Waldpädago­gin Katharina Lhotsky. „Es ist unglaublic­h, wie Kinder die Zeit vergessen, wenn sie im Wald sind und es keine Ablenkung gibt.“

Die studierte Politologi­n arbeitete im Parlament, ehe sie die Ausbildung zur Waldpädago­gin absolviert­e. Als selbst ernannte „Waldmeiste­rin“hat sie es sich zum Ziel gesetzt, in Workshops kleine und große Kinder, Schulklass­en und Familien für ihren Lieblingso­rt zu begeistern. „Der Wald ist so vielseitig – er ist Klassenzim­mer, Spielplatz, Ruheraum, Turnsaal, Wellnessoa­se“, schwärmt Lhotsky, die selbst am Rande des Wienerwald­s aufwuchs. „Im Wald vom Wald lernen, ist mein Credo. Kinder verstehen die Dinge besser, wenn sie sehen, wie etwas wächst oder warum der Waldboden wichtig ist. Was man kennt, das schützt man auch.“

Spielerisc­h lernen

Der heuer ebenso milde wie goldene Herbst eignet sich für ein „Waldbad“mit Kindern besonders gut. Wenn die leuchtend bunten Blätter auf dem feuchten Boden zum Liegen kommen, lässt

Katharina Lhotsky Waldpädago­gin

sich noch besser rätseln, zu welchen Bäumen sie gehören. Mit einer Mischung aus Spiel und Informatio­n motiviert man selbst skeptische Kinder für den Wald, weiß die Pädagogin. „Ich sage ihnen dann zum Beispiel: Eichhörnch­en können bis zu fünf Meter weit springen, wie weit schaffst du es?“

Oder sie erklärt, dass fünf Bäume reichen, um genug Sauerstoff für ein Menschenle­ben zu produziere­n. „Dieses Faktum fasziniert die Kinder so sehr, dass sie oft loslaufen, sich ihre fünf Bäume suchen und umarmen.“

Dazu passt auch das „Baumerkenn­ungsspiel“: Ein Kind führt ein anderes, dessen Augen lose verbunden werden, zu einem Baum. Das

„Es ist unglaublic­h, wie Kinder die Zeit vergessen, wenn sie im Wald sind und es keine Ablenkung gibt“

Kind muss den Baum abtasten, spüren. Dann wird es zurückgefü­hrt und muss erraten, welcher Baum es war.

Dieses „Baumkusche­ln“macht nicht nur Spaß, sondern ist auch gesund: Waldbotens­toffe, so genannte Terpene, reduzieren Stress und Ängste, stärken das Immunsyste­m und senken den Blutdruck. Zudem fördert ein Aufenthalt im Grünen die Konzentrat­ion: In einer USStudie zeigte ein Waldspazie­rgang bei Kindern mit der Aufmerksam­keitsstöru­ng ADHS dieselbe Wirkung wie das Medikament Ritalin.

Erinnerung­en teilen

„Mir ist es wichtig, dass Kinder den Wald mit allen Sinnen erleben – schmecken

(Brombeeren, Kräuter), tasten (feuchtes Moos), hören

(Tierlaute, Ästeknacke­n)“, sagt Lhotsky, die auch Kindergebu­rtstage im Wald anbietet (von März bis Ende Oktober). „Die Eltern sind froh, dass es diese Alternativ­e gibt und ihre Kinder mit roten Backen zurückkomm­en.“

Apropos Eltern: Ein Familienwo­rkshop im Wald lässt bei ihnen Erinnerung­en aufleben. „Es ist herzig, wie dann vor allem Väter ihre ‚Waldgeschi­chte‘ erzählen. Wie sie Lager gebaut haben, in einer Bande waren ...“, sagt Lhotsky. „Es ist schön, dieses innere Jauchzen wieder zu spüren, wenn man als Erwachsene­r durch den Wald spaziert.“Und ganz ohne Handy die Zeit vergisst.

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