Kurier (Samstag)

Reiten, kämmen und wegen der Zähne nuscheln

Karen Duve. „Sisi“-Roman aus der Essenz von 65 Büchern

- PETER PISA

Bücher

Die Lust, einen Roman über Kaiserin Elisabeth zu lesen, mag gering sein.

Hingegen könnte die Lust, etwas Neues von Karen Duve zu lesen, groß sein.

Man will mehr von der Hamburgeri­n, seit sie über Annette von Droste-Hülshoff geschriebe­n hat – die nicht gerade magnetisie­rt (Die Judenbuche = Sittengemä­lde = Schullektü­re).

Duve hatte in „Fräulein Nettes kurzer Sommer“vermutlich jedes Schlagloch in Münster auf dem Weg zur Burg der Hülshoffs inspiziert. Deshalb lebt die Zeit (die Romantik), deshalb lebt Annette, und es lebt ihre Liebe (aber nur sehr kurz).

3 Uhr 30

„Sisi“funktionie­rt ähnlich.

Karen Duve hatte nicht vor, ihr persönlich­es Bild der schönen Kaiserin niederzusc­hreiben. Sie hat lieber die Essenz aus 65 Büchern geholt, in denen Elisabeth einerseits verherrlic­ht wird wie etwa in den Tagebücher­n ihrer Hofdame und Freundin Marie Festetics – und in denen sie anderersei­ts kritisch gesehen wird wie etwa in Brigitte Hamanns historisch­en Büchern.

So viel Informatio­nen hat Duve dadurch zusammenge­tragen, dass man mit ihr sogar Kaiser Franz Joseph begleiten kann, wenn er täglich um 3.30 Uhr in der Früh aufsteht und im Nachthemd exakt drei Zimmer weiter zu seinem Leibstuhl wandert.

Und Sisi reitet; und Sisi nuschelt, damit sie den Mund kaum aufmachen muss, denn sonst sieht man ihren einzigen Makel – die gelben Zähne.

Und Sisi reitet schon wieder; und im Kamm bleiben mehrere Haare von ihr hängen, jedes Haar 1,5 m lang ...

Und Sisi fährt an den Starnberge­r See ins Hotel Strauch mit 60-köpfigem Gefolge, einem Rudel Doggen, diversen Pferden.

Es sind die 1870er-Jahre. Noch vergnügt sich der Kaiser nicht mit Katharina Schratt, sondern hat Anna Heiduck als Geliebte. Sie braucht sein Geld. Ihr Ehemann verspielt alles.

Elisabeth reißt die Zwänge nieder, indem sie reist und reitet, einmal entkommt sie dem Hof und verdreht, kostümiert als gelber Domino. am Ball im Musikverei­n einem Beamten den Kopf.

Ihr Biograf Egon Graf Conte Corti lüftete 1934 dieses Geheimnis.

Elisabeths „Lieblingss­pielzeug“aber war ihre Nichte Marie Louise, die sie aber dann schnell unter die Haube brachte, weil in deren Schönheit eine echte Konkurrenz entstand.

Damit geht Karen Duves Roman zu Ende. Gewicht hat er kaum.

Und das ist der Unterschie­d: Ihr Buch über Annette von Droste-Hülshoff überrascht­e, denn man wusste wenig über „die Droste“, schon gar nicht, dass ihr Leben ein Auf begehren war.

Aber Sisi ist ... Sisi, die alte Bekannte. Ihr eine bloß halbwahre oder vielleicht sogar erfundene Geschichte anzuhängen, hätte wahrschein­lich mehr Reiz gehabt.

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Karen Duve: „Sisi“Galiani Verlag. 416 Seiten. 26,50 Euro
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