Kurier (Samstag)

Weihnachte­n mit Nesterval: Es lebe die Kaiserin!

Amüsante Fiktion auf Schloss Eckartsau

- Kritik. THOMAS TRENKLER

Der Titel „Die letzten Tage der Nestervals“führt in die Irre: Mit den „Letzten Tagen der Menschheit“hat der Abend auf Schloss Eckartsau gar nichts zu tun. Die Geschichte setzt erst nach Ende des Szenenreig­ens von Karl Kraus, also nach dem Zusammenbr­uch der Donaumonar­chie, ein – und erzählt eigentlich von den ersten Tagen der Nestervals als unmittelba­re Nachfolger der Habsburger.

Denn Kaiser Karl I. hatte bekanntlic­h im November 1918 auf die Regierungs­geschäfte verzichtet. Nicht aber sein Namensvett­er, Karl von Nesterval: Der außereheli­che Sohn von Kaiser Franz Joseph (er behauptet dies jedenfalls) erhebt Anspruch auf den Thron. Und weil bei der Familie Nesterval das Matriarcha­t gelebt wird, ist es dessen Ehefrau Cosima (Mimi Hie), die sich berufen fühlt, DeutschÖst­erreich mit Milde und Umsicht zu regieren. Am 24. Dezember 1918 sollen daher der illustre Hofstaat und die Bedienstet­en sie als Kaiserin anerkennen. Das Schöne dabei: Man kann dem denkwürdig­en Ereignis beiwohnen – und nicht bloß als Kiebitz.

Denn die Gruppe Nesterval rund um Martin Finnland bezieht das Publikum in ihre Geschichte mit ein – per Losentsche­id zu Beginn als niederer Adel oder als Dienerscha­ft. Beide Gruppen erleben die Ereignisse der nächsten zwei Stunden daher aus anderen Perspektiv­en. Zugleich handelt es sich bei dieser Soap – der Leibjäger hat ein Verhältnis mit der Kaiserin, der Bischof agiert zunehmend opportunis­tisch – um eine Nachstellu­ng der Ereignisse auf dem Schloss.

Chefkoch mit Bouillon

Denn Kaiser Karl hatte sich mit der Familie tatsächlic­h nach Eckartsau zurückgezo­gen. Über das damalige Weihnachte­n (Feier in der Bibliothek, Bescherung, Mette) weiß man aufgrund der Aufzeichnu­ngen des Chefkochs recht genau Bescheid. Schlossman­agerin Elisabeth Sandfort hatte daher die Idee, die Gruppe Nesterval zu einer Re-Inszenieru­ng einzuladen.

Man lernt also spielerisc­h diverse Räume, Gänge, Winkel kennen. Und man ist über die Duplizität der Ereignisse verblüfft. Denn damals war Krieg gewesen. Und eine Pandemie wütete: Auch Kaiser Karl hatte die Spanische Grippe. Zum Schluss serviert die Dienerscha­ft im Innenhof Bouillon – wie einst am 24. Dezember. Ein sympathisc­her Abend mit Systemkrit­ik und viel Witz.

★★★★★

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